Das württembergische Hofgericht 1460 bis 1806
In früheren Zeiten war es nicht selbstverständlich, dass eine Prozesspartei gegen ein ihr ungünstiges Urteil bei einer höheren Instanz "appellieren“, also Berufung einlegen konnte. In Württemberg ist ein Hofgericht als Appellationsgericht erstmals 1460 urkundlich erwähnt. Es ist einer frühen Kooperation zwischen Baden und Württemberg zu verdanken. Nach einem Vertrag vom 27. November 1460, der zwischen dem württembergischen Graf Ulrich V., genannt „der Vielgeliebte“, und dem Markgrafen Karl von Baden geschlossen wurde, sollte sich jeweils eine Partei aus dem anderen Land über ein Urteil eines Stadt- oder Dorfgerichts bei dem Hofgericht des Landes beschweren können. Unterlag also eine Partei aus Baden bei einem württembergischen Gericht, dann konnte sie zum württembergischen Hofgericht appellieren. Dasselbe galt umgekehrt für eine württembergische Partei, die in Baden einen Prozess führte. Dieses Recht konnte natürlich den eigenen Untertanen nicht vorenthalten werden. Deshalb wurde auch den eigenen Landeskindern das Recht zugebilligt, gegen ein Urteil des heimatlichen Gerichts beim Hofgericht Berufung einzulegen.
Ein solches Hofgericht wurde dann nicht nur vom Grafen Ulrich für den von ihm regierten Stuttgarter Landesteil eingerichtet - Württemberg war damals für einige Jahrzehnte geteilt -, sondern auch von Graf Eberhard V. („Eberhard im Bart“) für den Uracher Landesteil. Beide Grafen erließen 1475 gemeinsam eine erste Hofgerichtsordnung. In den ersten Jahren wurde das Hofgericht noch vom Grafen selbst mit seinen Räten abgehalten – Gewaltenteilung war zu der Zeit noch ein Fremdwort. Das Gericht tagte unregelmäßig und wahrscheinlich ohne festen Sitz an den Orten, an denen der Graf Hof hielt (deshalb "Hofgericht“).
Mit der Zeit vollzog sich eine Ablösung des Gerichts vom Grafen. Zunehmend wurden studierte Rechtsgelehrte zu Hofrichtern bestellt. Mit diesen Berufs-Juristen gewann in der Rechtsprechung des Hofgerichts das römische Recht an Bedeutung. Die Untergerichte wendeten dagegen weiterhin vor allem das alte, in der Bevölkerung eher bekannte deutsche Recht an. Die damit verbundene Rechtsunsicherheit war neben anderen politischen und sozialen Umständen ein Grund für die Unzufriedenheit im Land, die zu Konflikten zwischen dem Landesfürsten und der Bevölkerung und schließlich zu Bauernaufständen führte. Mittlerweile war Württemberg wieder vereint und zum Herzogtum erhoben worden, 1503 war Herzog Ulrich zur Regentschaft gekommen; nach ihm ist die Ulrichstraße benannt, in der das Oberlandesgericht Stuttgart heute seinen Sitz hat. Er schloss mit den Landständen am 8. Juli 1514 den Tübinger Vertrag; im dazugehörenden Tübinger Nebenabschied wurde unter anderem geregelt, dass das Hofgericht auch mit Räten der Landschaft, vorzugsweise Landeskindern, besetzt werden sollte. Die Tübinger stellten im Gegenzug in den folgenden Wochen Truppen zur Verfügung, mit deren Hilfe der Bauernaufstand im Remstal, bekannt geworden als "Armer Konrad“, niedergeschlagen wurde. Zum Dank schenkte Herzog Ulrich den Tübingern mit Dekret vom 18. August 1514 nicht nur drei Feldschlangen, sondern er ordnete auch an, dass das Hofgericht für alle Zeiten seinen Sitz in Tübingen haben sollte. Es residierte fortan im dritten Stock des Tübinger Rathauses. Auf der Grundlage der bereits zuvor im Januar 1514 neu gefassten und auch später mehrmals reformierten Hofgerichtsordnung war es dort als Appellationsgericht für die württembergischen Lande bis 1806 tätig.
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