Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat mit heute veröffentlichtem Beschluss vom 1. Juli 2019 die Kosten, die durch die im März 2019 erfolgte Aussetzung der Hauptverhandlung in einem Staatsschutzverfahren verursacht wurden, der Wahlverteidigerin auferlegt. Er sah die Voraussetzungen des § 145 Abs. 4 Strafprozessordnung (StPO) als erfüllt an, wonach einem Verteidiger die durch eine Aussetzung verursachten Kosten aufzuerlegen sind, wenn durch seine Schuld die Aussetzung erforderlich wird.
Die Anklage wirft dem 34-jährigen Angeklagten u. a. vor, in zehn Fällen die ausländische terroristische Vereinigung IS unterstützt und in vier Fällen für sie um Mitglieder und Unterstützer geworben zu haben. Nachdem der Senat seit 17. Januar 2019 bereits an fünf Tagen verhandelt hatte, war am 12. und 14. März 2019 der bestellte Verteidiger jeweils mit ärztlichem Attest entschuldigt krankheitsbedingt nicht anwesend. Die an beiden Tagen jeweils im Gebäude, aber nicht im Saal anwesende Wahlverteidigerin des Angeklagten erklärte, sie nehme an der Hauptverhandlung nur teil, wenn sie zur Pflichtverteidigerin bestellt werde. Eine solche Bestellung durch den Vorsitzenden erfolgte nicht. Er hatte sie bereits zuvor mehrfach abgelehnt; hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Angeklagten waren beim Bundesgerichtshof und beim Bundesverfassungsgericht erfolglos geblieben. Da die Wahlverteidigerin wegen anderer Termine verhindert und der bestellte Verteidiger weiterhin erkrankt waren, konnte bis zum 20. März 2019, dem letzten möglichen Tag einer Fortsetzung der Hauptverhandlung, nicht mehr verhandelt werden. Weil eine weitere Unterbrechung gemäß § 229 StPO nicht mehr möglich war, hatte der Senat die Hauptverhandlung mit Beschluss vom 19. März 2019 ausgesetzt. Seit 2. April 2019 verhandelte der Senat nach einem Neubeginn der Hauptverhandlung das Verfahren bereits wieder an 13 Tagen (vgl. zu weiteren Einzelheiten: PM v. 26. März 2019 hier).
Der
Senat hat seine Entscheidung u. a. mit folgenden Erwägungen begründet:
Nicht nur der bestellte Verteidiger, sondern auch der Wahlverteidiger sei zur Teilnahme an der Hauptverhandlung verpflichtet. Nach der
Strafprozessordnung sei einem Angeklagten, der einen Wahlverteidiger habe, auch im Falle der notwendigen Verteidigung grundsätzlich
kein Verteidiger zu bestellen. Wenn die Verteidigung demnach im Regelfall vom Wahlverteidiger allein geführt werden solle, verstehe es
sich von selbst, dass dieser nicht nach Belieben an der Hauptverhandlung teilnehmen oder ihr fernbleiben könne. Das Gesetz selbst gehe
von dieser Pflicht des Wahlverteidigers aus und beschränke die Kostenpflicht nicht auf den Pflichtverteidiger, sondern lege auch dem
Wahlverteidiger, der eine Aussetzung der Hauptverhandlung verschuldet, Kosten auf. Es habe – so der Senat - auch kein Ausnahmefall
vorgelegen, in dem die Rechtsanwältin der Hauptverhandlung gleichwohl fernbleiben durfte. Ist ein Pflichtverteidiger bestellt,
dürfe sich der Wahlvertei-diger zwar grundsätzlich darauf verlassen, dass die Verteidigung des Angeklagten durch diesen
sichergestellt werde, und es treffe ihn keine unbedingte Erscheinenspflicht. Anders sei es aber dann, wenn der Wahlverteidiger - wie hier -
nicht darauf vertrauen könne, dass der Pflichtverteidiger tatsächlich zur Hauptverhandlung erscheinen wird. Auch der Umstand,
dass die Verteidigerin nach ihrem Vorbringen für ein Tätigwerden in der Hauptverhandlung nicht mit der Bezahlung einer
Vergütung rechnen konnte, stellte sie unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht von der Verpflichtung frei, in
der Hauptverhandlung aufzutreten. Die Rechtsanwältin sei sowohl am 12. als auch am 14. März 2019 im Gerichtsgebäude anwesend
gewesen und habe sich lediglich geweigert, im Gerichtssaal an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Sämtliche für die Anreise
erforderlichen Auslagen seien schon angefallen gewesen und der für das Verfahren aufgewandte Zeitaufwand sei derselbe geblieben, ob
die Verteidigerin im Gerichtssaal auftrat oder im Verteidigerzimmer auf eine erhoffte Verteidigerbestellung wartete. Die Teilnahme an der
Hauptverhandlung sei für die Rechtsanwältin mithin mit keinem zusätzlichen Aufwand und keinem persönlichen Nachteil
mehr verbunden gewesen. Dass sich die Verteidigerin bei dieser Sachlage trotzdem nicht in den Gerichtssaal begeben habe, sondern vor dessen
Türen zuwartete, habe seinen Grund nach der Überzeugung des Senats deshalb nicht darin gehabt, dass ihre Bezahlung nicht
gesichert war. Vielmehr sei es der Rechtsanwältin ausschließlich darum gegangen, in Anbetracht der drohenden Aussetzung der
Hauptverhandlung ihre Bestellung zur weiteren Verteidigerin zu erzwingen. Dabei rechtfertige das Ziel der Verteidigerin, ihre Bestellung zu
erreichen, ein solches Vorgehen nicht. Der Vorsitzende hatte seine Entscheidung, sie nicht zu bestellen, in mehreren Beschlüssen
eingehend begründet. Die hiergegen gerichteten Rechtsmittel des Angeklagten seien durchweg erfolglos geblieben; der Bundesgerichtshof
hatte in seiner Entscheidung vom 7. Februar 2019 überdies ausgeführt, dass der angefochtene Vorsitzendenbeschluss nach
vorläufiger Einschätzung Ermessensfehler nicht erkennen lasse. Zudem begründete die Vorgehensweise der Verteidigerin das
Risiko einer Aussetzung der Hauptverhandlung mit der Folge einer längeren Dauer der für den Angeklagten besonders belastenden
Untersuchungshaft. Mit ihrem Ziel, ihre Bestellung zur Verteidigerin zu erreichen, habe die Rechtsanwältin daher keine
anerkennenswerten Interessen, die eine Ausnahme von der grundsätzlichen Pflicht des Wahlverteidigers zur Teilnahme an der
Hauptverhandlung rechtfertigen konnten, verfolgt. Vielmehr sei das Verhalten der Verteidigerin, die letztlich mutwillig eine Aussetzung der
Hauptverhandlung provozierte, mit einer gewissenhaften Ausübung des Anwaltsberufs nach Ansicht des Senats nicht in Einklang zu
bringen.
Gegen den Beschluss ist kein Rechtsmittel statthaft.
Aktenzeichen:
5 - 2 StE 9/18 – Oberlandesgericht Stuttgart – Beschluss v. 1. Juli 2019
Hinweis vom 20. Mai 2020:
Eine Verfassungsbeschwerde der Wahlverteidigerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 1. Juli 2019 hat das Bundesverfassungsgericht am 22. Januar 2020 nicht zur Entscheidung angenommen.
§
145 Ausbleiben oder Weigerung des Pflichtverteidigers
(1) Wenn in einem Falle, in dem die Verteidigung notwendig ist, der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt
oder sich weigert, die Verteidigung zu führen, so hat der Vorsitzende dem Angeklagten sogleich einen anderen Verteidiger zu bestellen.
Das Gericht kann jedoch auch eine Aussetzung der Verhandlung beschließen.
(2) Wird der notwendige Verteidiger gemäß § 141 Abs. 2 erst im Laufe der Hauptverhandlung bestellt, so kann das Gericht
eine Aussetzung der Verhandlung beschließen.
(3) Erklärt der neu bestellte Verteidiger, dass ihm die zur Vorbereitung der Verteidigung erforderliche Zeit nicht verbleiben
würde, so ist die Verhandlung zu unterbrechen oder auszusetzen.
(4) Wird durch die Schuld des Verteidigers eine Aussetzung erforderlich, so sind ihm die hierdurch verur-sachten Kosten aufzuerlegen.
§
229 StPO - Höchstdauer einer Unterbrechung
(1) Eine Hauptverhandlung darf bis zu drei Wochen unterbrochen werden.
…
(4) Wird die Hauptverhandlung nicht spätestens am Tage nach Ablauf der in den vorstehenden Absätzen bezeichneten Frist
fortgesetzt, so ist mit ihr von neuem zu beginnen. …