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Oberlandesgericht Stuttgart entscheidet erstmals im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über eine Anordnung nach dem Therapieunterbringungsgesetz
Datum: 30.06.2011
Kurzbeschreibung:
Mit Beschluss vom 27. Juni 2011 hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart auf die sofortige Beschwerde eines Betroffenen hin dessen durch das Landgericht Heilbronn angeordnete vorläufige Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung nach dem Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) aufgehoben und den entsprechenden Antrag zurückgewiesen. Angesichts mittlerweile ergangener Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zur Sicherungsverwahrung konnte der Senat das gesetzlich erforderliche dringende Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden zur Zeit nicht mehr feststellen.
Der Betroffene befindet sich derzeit in Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn. Nach mehreren Verurteilungen wegen Sexualdelikten und anderen Straftaten wurde er zuletzt 1985 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Außerdem wurde Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach dem zum Zeitpunkt der Verurteilung des Betroffenen geltenden Recht betrug die Höchstdauer der Sicherungsverwahrung 10 Jahre. Diese zeitliche Beschränkung entfiel mit dem am 31.Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten. Daher ordnete das damals zuständige Landgericht Freiburg nach Vollzug von 10 Jahren Sicherungsverwahrung die Fortdauer der Sicherungsverwahrung an.
Ein Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart wies mittlerweile mehrfach die unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 zu den sogenannten „Zehn-Jahres-Altfällen“ gestellten Entlassungsanträge des Betroffenen zurück (s. hierzu Pressemitteilungen des OLG Stuttgart v. 01.06.2010 u. 01.09.2010).
Ende Januar 2011 hatte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Heilbronn die Anordnung einer Therapieunterbringung des Betroffenen nach § 1 ThUG in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung sowie die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 14 ThUG beantragt. Am 29. März 2011 ordnete das Landgericht Heilbronn im Wege einer einstweiligen Anordnung die vorläufige Unterbringung des Betroffenen in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung für die Dauer von 3 Monaten ab Wirksamkeit des Beschlusses an. Das Landgericht hatte die Notwendigkeit sofortigen Handelns im Hinblick auf das zum Zeitpunkt der Entscheidung offene Verfahren vor dem Großen Senat des Bundesgerichtshofs (s. hierzu Pressemitteilung des BGH v. 11. November 2010) bejaht. Es sei noch nicht abzusehen, ob der Bundesgerichtshof zum Ergebnis genereller Unzulässigkeit weiterer Maßregelvollstreckung kommen würde, was die sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Sicherungsverwahrung zur Folge gehabt hätte.
Der für die Verfahren nach dem ThUG zuständige 8. Zivilsenat hat nun entschieden, dass das Landgericht Heilbronn im Verfahren der einstweiligen Anordnung zwar in nicht zu beanstandender Weise das Vorliegen von Gründen für die Annahme bejaht hat, dass der Betroffene an einer psychischen Störung leidet, und dass der Betroffene mit hoher Wahrscheinlichkeit infolge dieser psychischen Störung das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird. Jedoch sah der Senat derzeit kein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden im Verfahren nach § 14 ThUG mehr. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (2 BvR 2365/09 u.a.) und der darauf basierenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.Mai 2011 (5 StR 394/10 u.a.) ist eine sofortige Entlassung des Betroffenen aus der Sicherungsverwahrung nicht geboten und auch nicht zu erwarten. Die zuständigen Strafgerichte haben bis zum 31. Dezember 2011 Gelegenheit, aktuelle Feststellungen zu treffen, ob eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung angezeigt ist. Dabei geht der Senat davon aus, dass bis zu dem genannten Datum auch die in Auftrag gegebenen Gutachten vorliegen und somit geklärt ist, ob der Betroffene an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 1 ThUG leidet. Dann kann gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren vor dem Landgericht Heilbronn auf gesicherter Tatsachengrundlage über einen entsprechenden Antrag nach dem ThUG entschieden werden.
Die Frage einer geeigneten Einrichtung als Voraussetzung für die Therapieunterbringung konnte - anders als in den vom Oberlandesgericht Karlsruhe entschiedenen Verfahren (Beschluss vom 20.Mai 2011 -14 Wx 20/11 und Wx 24/11) - vom Senat dahingestellt bleiben, weil sich die Beschwerde bereits aus dem oben ausgeführten Grund als begründet erwiesen hat.
Gegen den Beschluss des Senats ist kein weiteres Rechtsmittel mehr statthaft.
8 W 150/11
Vorinstanz:
LG Heilbronn: 1 O-ThUG 25/11
ThUG (auszugsweise):
§ 1 Therapieunterbringung
(1) Steht auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung fest, dass eine wegen einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches genannten Art verurteilte Person deshalb nicht länger in der Sicherungsverwahrung untergebracht werden kann, weil ein Verbot rückwirkender Verschärfungen im Recht der Sicherungsverwahrung zu berücksichtigen ist, kann das zuständige Gericht die Unterbringung dieser Person in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung anordnen, wenn
1.
sie an einer psychischen Störung leidet und eine Gesamtwürdigung ihrer Persönlichkeit, ihres Vorlebens und ihrer Lebensverhältnisse ergibt, dass sie infolge ihrer psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, und
2.
die Unterbringung aus den in Nummer 1 genannten Gründen zum Schutz der Allgemeinheit erforderlich ist.
(2) Absatz 1 ist unabhängig davon anzuwenden, ob die verurteilte Person sich noch im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet oder bereits entlassen wurde
.
§ 14 Einstweilige Anordnung
(1) Das Gericht kann im Hauptsacheverfahren durch einstweilige Anordnung für die Dauer von drei Monaten eine vorläufige Unterbringung anordnen, wenn
1.
Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Therapieunterbringung nach § 1 gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht, und
2.
der Betroffene persönlich und ein ihm beigeordneter Rechtsanwalt angehört worden sind.
Eine Anhörung des Betroffenen im Wege der Rechtshilfe ist zulässig.
(2) Abweichend von § 10 Absatz 1 kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung bereits vor Rechtskraft der in § 1 Absatz 1 vorausgesetzten Entscheidung ergehen. Das Gericht kann anordnen, dass der Beschluss mit Rechtskraft der in § 1 Absatz 1 vorausgesetzten Entscheidung wirksam wird.
(3) Die Dauer der vorläufigen Unterbringung auf Grund einer einstweiligen Anordnung kann um jeweils weitere drei Monate bis zu einer Gesamtdauer von einem Jahr nach Anhörung der Sachverständigen nur verlängert werden, wenn eine besondere Schwierigkeit in der Begutachtung oder ein anderer wichtiger Grund die Entscheidung im Hauptsacheverfahren erheblich verzögert.