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Berufung des Rems-Murr-Kreises zur Verurteilung von Schmerzensgeld an halbverhungertes Pflegekind zurückgewiesen.
Datum: 28.07.2003
Kurzbeschreibung:
Der jetzt 14jährige Kläger Andreas H. macht gegen den Rems-Murr-Kreis - Jugendamt - Schmerzensgeldansprüche aus Amtspflichtverletzung geltend und begehrt darüber hinaus die Feststellung der Ersatzpflicht für künftigen materiellen und immateriellen Schaden.
Die früheren Pflegeeltern des Klägers, Klaus und Ulrike R., waren mit Urteil der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart - 9 Ks 116 Js 100180/97 - vom 30. Juni 1999 wegen Mordes in Tateinheit mit Misshandlung von drei Schutzbefohlenen jeweils zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden.
Die am 25. November 1998 begonnene 40tägige Hauptverhandlung vor dem Schwurgericht, über die seinerzeit unter dem Stichwort „Der Hungertod des kleinen Alexander“ berichtet wurde, stieß auf erhebliches öffentliches Interesse.
Die damaligen Angeklagten hatten den Feststellungen des Schwurgerichts zufolge neben drei leiblichen Kindern drei Pflegekinder, die Brüder Alexander und Alois 3 ½ Jahre lang sowie Andreas (den Kläger des vorliegenden Verfahrens) für die Dauer von 7 Jahren in der Familie. Die drei Pflegekinder wurden - anders als die leiblichen Kinder - gequält, misshandelt und ungenügend ernährt. Anfang Oktober 1997 erkannten die Angeklagten, dass die drei Pflegekinder infolge des abgemagerten Zustands in Lebensgefahr waren, weil deren Körper im Zuge des zuletzt verschärften Nahrungsentzugs auf Fett- und Muskelreserven zurückgegriffen hatte.
Alexander starb infolge der Unterernährung am 27. November 1997 im Alter von 5 Jahren. Er war 7,2 kg schwer und 86 cm groß. Bei normaler Entwicklung wären 19 kg und 109 cm zu erwarten gewesen. Seine Körperlänge entsprach einem 2jährigen, der dann aber regelmäßig 12 kg wiegen würde.
Andreas war damals 8 ½ Jahre alt. Er war 11,8 kg schwer und 104 cm groß. Bei normaler Entwicklung wären 23 kg und 130 cm zu erwarten gewesen. Seine Körperlänge entsprach einem 4jährigen, der dann aber regelmäßig 16,5 kg wiegen würde.
Die Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart - 15 O 276/02 - hatte dem Kläger mit dem angefochtenen Urteil vom 7. März 2003 den beantragten Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 25.000,00 EUR zugesprochen und die Verpflichtung des beklagten Landkreis festgestellt, sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die dem Kläger durch den Aufenthalt in der Pflegefamilie ab dem 22.09.1994 entstanden sind.
Der Landkreis legte gegen dieses Urteil Berufung ein.
Der 4. Zivilsenat, der in der mündlichen Verhandlung am 02. Juli 2003 die Tendenz erkennen ließ, die angefochtene Entscheidung zu bestätigen, hat durch ein heute verkündetes Urteil die Berufung des Landkreises zurückgewiesen.
Die Zuständigkeit für das Pflegekind Andreas, das mit den (verurteilten) Pflegeeltern im Oktober 1993 nach Weinstadt gezogen war, gehe, so der Senat, mit dem Umzug des Klägers in den Bereich des ortsnäheren beklagten Landkreises über, was dem Jugendamt des beklagten Landkreises im Lauf des Jahres 1994 hätte klar werden müssen. Trotz des Wunsches der leiblichen Mutter des Klägers, ihn aus der Pflegefamilie heraus zu holen, war nach den gesamten Umständen mit einem dauerhaften Verbleib des Klägers in der Pflegefamilie zu rechnen. Die wegen der rechtswidrigen Ablehnung der Übernahme der Verantwortung für den Kläger fortdauernden Leistungen des früher zuständig gewesenen Jugendamts Hof entlasteten den Beklagten nicht, weil sie lediglich eine Unterbrechung der Leistungen für den Kläger aufgrund des Zuständigkeitsgerangels verhindern sollten.
Sodann hätten die Jugendamtsmitarbeiter auch nach Übernahme der Zuständigkeit für den Kläger zum 01. 06. 1997 vor der ersten Entscheidung über die Gewährung von Jugendhilfe und zeitnah nach Übernahme der Zuständigkeit mit Andreas persönlich einen Kontakt aufnehmen und sich über seine Lebensumstände und Bedürfnisse selbst informieren müssen. Angesichts der auffälligen körperlichen Entwicklung des Klägers und der Ausführungen der Sachverständigen im Strafverfahren gegen die Pflegeeltern hätte den Mitarbeitern des Jugendamts die Wachstumsretardierung und Mangelversorgung des Kindes auffallen müssen.
Der Senat hat die Revision zugelassen, über die gegebenenfalls der BGH zu entscheiden haben wird.
Zum Volltext der Entscheidung, Urteil vom 23.7.2003, Aktenzeichen 4 U 42/03