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Urteil des Staatsschutzsenats in der Strafsache gegen zwei russische Spione wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach § 99 Strafge-setzbuch
Datum: 02.07.2013
Kurzbeschreibung:
Der 4b. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter dem Vorsitz von Sabine Roggenbrod am 28. Verhandlungstag ein vermutlich russisches Ehepaar mit unbekannter Identität wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach § 99 Strafgesetzbuch in Tateinheit mit geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen den NATO-Vertragsstaat Königreich der Niederlande verurteilt. Gegen den Ehemann wurde eine Freiheitstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten, gegen dessen Frau eine solche von 5 Jahren und 6 Monaten verhängt. Gegenstände, die zur konspirativen Kommunikation mit der Zentrale dienten, wurden als Tatmittel eingezogen. Zur Abschöpfung des aus der Tat erlangten Agentenlohns wurde ein Wertersatzverfall in Höhe von 500.000 Euro angeordnet. Die seit über 1 ½ Jahren andauernde Untersuchungshaft der Angeklagten hat fortzudauern.
Der Senat war nach einer umfangreichen Beweisaufnahme mit insgesamt 36 Zeugen und Sachverständigen davon überzeugt, dass die Angeklagten, deren Alter auf etwa Anfang/ Mitte 50 bestimmt werden konnte, bis zu ihrer Festnahme am 18. Oktober 2011 als sogenannte „Illegale“ in Deutschland für den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR (Sluschba wneschnei raswedki - Dienst der Außenaufklärung) tätig gewesen sind. Als hauptamtliche Mitarbeiter reisten sie 1988 bzw. 1990 noch im Auftrag des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB unter der Legende vorgeblicher österreichischer Staatsangehöriger mit südamerikanischer Herkunft mit inhaltlich falschen österreichischen Ausweispapieren unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun A. in die Bundesrepublik ein. Hier bauten sie sich eine bürgerliche Existenz mit Stationen in Aachen, Meckenheim, Landau und Marburg auf und konnten so ihre geheimdienstliche Tätigkeit über 23 Jahre hinweg perfekt tarnen. Während der gesamten Dauer ihrer Tätigkeit standen die Angeklagten mittels Agentenfunk in regelmäßigem engen Kontakt mit ihrer Führungsstelle. Als „Illegale“ mussten sie für Informationen aller Art aus dem politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Bereich ein „offenes Ohr und Auge“ haben. Nach den Vorgaben der Zentrale berichteten sie zu aktuellen Themen über spezifisch deutsche Belange und sammelten Erkenntnisse über politische und militärpolitische Entwicklungen innerhalb von EU und NATO. Hierzu besuchten sie Vortragsveranstaltungen parteinaher Stiftungen und politischer Gesellschaften. Aus diesem Umfeld meldeten sie ihrer Führungsstelle auch Personen, die sie für eine weitere nachrichtendienstliche Bearbeitung als geeignet erachteten. Herzstück der Tätigkeit der Angeklagten stellte zumindest seit 2008 das Führen einer von der Zentrale in Moskau mehrfach als wertvoll und besonders schutzwürdig bezeichneten Quelle dar. Es handelte sich dabei um einen mittlerweile 61 Jahre alten niederländischen Staatsangehörigen, der bis zu seiner Verhaftung im März 2012 als Beamter im niederländischen Außenministerium in der Abteilung Ausländer- und Visaangelegenheiten tätig war. Er lieferte den Angeklagten gegen Schmiergeldzahlungen in Höhe von mindestens 72.200 Euro aus dem allgemeinen Berichtsverkehr des niederländischen Außenministeriums eine Vielzahl amtlicher Dokumente über EU- und NATO-Angelegenheiten. Diese leiteten die Angeklagten mittels sogenannter toter Briefkästen bzw. per Satellitentechnik an ihre Zentrale weiter. Der in der Anklageschrift erhobene Vorwurf der Ausspähung im wirtschaftlichen Bereich hat sich nicht nachweisen lassen. In erster Linie diente die berufliche Tätigkeit des Angeklagten Andreas A. der Tarnung. Die Wahl des beruflichen Tätigkeitsfeldes war zwar aufs Engste mit dem Heimatdienst abgestimmt und der Angeklagte sollte - hätte sich die Gelegenheit ergeben - auch in diesem Rahmen interessante Informationen übermitteln. Es hat sich in der Hauptverhandlung allerdings für keinen der Arbeitsplätze bestätigt, dass tatsächlich auch Wirtschaftsspionage betrieben wurde.
Die Vorsitzende Richterin verwies in der mündlichen Urteilsbegründung auf die außergewöhnlich gute und dichte Beweislage. Die Angeklagte Heidrun A. war bei der Durchsuchung der Familienwohnung in Marburg auf frischer Tat beim Funkempfang der Zentrale überrascht worden. Bei Auswertung der sichergestellten Computer konnten Fragmente des Funkverkehrs mit der Zentrale wiederhergestellt werden. Dennoch sind Fragen offen geblieben. Neben den wahren Identitä-ten der Angeklagten blieben der Umfang des Verrats in seiner Gänze und die genaue Zahl übermittelter Berichte aus den Niederlanden im Dunkeln.
Die Strafe wurde dem Strafrahmen des besonders schweren Falls nach § 99 Abs. 2 Strafgesetzbuch entnommen, der Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren vorsieht. Es handelt sich nach der Bewertung des Senats um einen Verratsfall von erheblichem Gewicht, auch wenn sämtliche verratene Dokumente lediglich im niedrigsten Vertraulichkeitsgrad eingestuft waren und ein konkret messbarer Nachteil oder Schaden für Deutschland, die Niederlande, die NATO und die EU vom Senat nicht beschrieben werden konnte. Die mit dem Verrat ein-hergehende Schädigung des Ansehens und die Unsicherheit aller NATO- und EU-Partner über dessen kompletten Umfang führten allerdings zu einer erheblichen Gefährdung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Geheimschutzfähigkeit der Bundesrepublik und ihrer Partner.
Der Senat hat bei der Strafzumessung u. a. die sehr lange Dauer und Intensität der hauptamtlichen und gut besoldeten geheimdienstlichen Tätigkeit sowie die ungewöhnliche Häufung konspirativer Elemente berücksichtigt. Durch ihre hervorragende nachrichtendienstliche Ausbildung und die sorgfältig und aufwändig gestalteten Legenden sowie die ihnen nach den Funksprüchen ganz offensichtlich im Laufe der Zeit zugewachsenen eigenen Gestaltungsspielräume, ging von den Angeklagten eine weit überdurchschnittliche große abstrakte Gefahr für die Bun-desrepublik aus. Von besonderem Gewicht war schließlich auch die von den bei-den Angeklagten arbeitsteilig ausgeübte Tätigkeit als Instrukteure des niederlän-dischen Beamten.
Urteil vom 02. Juli 2012
Az.4b-3 StE 5/12
Ergänzende Hinweise:
§ 99 StGB - Geheimdienstliche Agententätigkeit
(1) Wer
1. für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder
2. gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1, in § 97a oder in § 97b in Verbindung mit § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein be-sonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er
1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder
2. durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.
(3) § 98 Abs. 2 gilt entsprechend.
Gemäß § 73 StGB wird der Verfall eines Vermögensvorteils angeordnet, wenn der Täter diesen aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat. Sinn dieser Vorschrift ist es, unrechtmäßig erlangten Vermögenszuwachs abzuschöpfen, also einen rechtswidrig erlangten Gewinn zu beseitigen. Ist ein bestimmter Gegenstand nicht mehr beschaffbar oder der Verfall aus einem anderen Grunde nicht möglich, so ist nach § 73a StGB Wertersatz zu leisten.
Der Senat war nach einer umfangreichen Beweisaufnahme mit insgesamt 36 Zeugen und Sachverständigen davon überzeugt, dass die Angeklagten, deren Alter auf etwa Anfang/ Mitte 50 bestimmt werden konnte, bis zu ihrer Festnahme am 18. Oktober 2011 als sogenannte „Illegale“ in Deutschland für den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR (Sluschba wneschnei raswedki - Dienst der Außenaufklärung) tätig gewesen sind. Als hauptamtliche Mitarbeiter reisten sie 1988 bzw. 1990 noch im Auftrag des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB unter der Legende vorgeblicher österreichischer Staatsangehöriger mit südamerikanischer Herkunft mit inhaltlich falschen österreichischen Ausweispapieren unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun A. in die Bundesrepublik ein. Hier bauten sie sich eine bürgerliche Existenz mit Stationen in Aachen, Meckenheim, Landau und Marburg auf und konnten so ihre geheimdienstliche Tätigkeit über 23 Jahre hinweg perfekt tarnen. Während der gesamten Dauer ihrer Tätigkeit standen die Angeklagten mittels Agentenfunk in regelmäßigem engen Kontakt mit ihrer Führungsstelle. Als „Illegale“ mussten sie für Informationen aller Art aus dem politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Bereich ein „offenes Ohr und Auge“ haben. Nach den Vorgaben der Zentrale berichteten sie zu aktuellen Themen über spezifisch deutsche Belange und sammelten Erkenntnisse über politische und militärpolitische Entwicklungen innerhalb von EU und NATO. Hierzu besuchten sie Vortragsveranstaltungen parteinaher Stiftungen und politischer Gesellschaften. Aus diesem Umfeld meldeten sie ihrer Führungsstelle auch Personen, die sie für eine weitere nachrichtendienstliche Bearbeitung als geeignet erachteten. Herzstück der Tätigkeit der Angeklagten stellte zumindest seit 2008 das Führen einer von der Zentrale in Moskau mehrfach als wertvoll und besonders schutzwürdig bezeichneten Quelle dar. Es handelte sich dabei um einen mittlerweile 61 Jahre alten niederländischen Staatsangehörigen, der bis zu seiner Verhaftung im März 2012 als Beamter im niederländischen Außenministerium in der Abteilung Ausländer- und Visaangelegenheiten tätig war. Er lieferte den Angeklagten gegen Schmiergeldzahlungen in Höhe von mindestens 72.200 Euro aus dem allgemeinen Berichtsverkehr des niederländischen Außenministeriums eine Vielzahl amtlicher Dokumente über EU- und NATO-Angelegenheiten. Diese leiteten die Angeklagten mittels sogenannter toter Briefkästen bzw. per Satellitentechnik an ihre Zentrale weiter. Der in der Anklageschrift erhobene Vorwurf der Ausspähung im wirtschaftlichen Bereich hat sich nicht nachweisen lassen. In erster Linie diente die berufliche Tätigkeit des Angeklagten Andreas A. der Tarnung. Die Wahl des beruflichen Tätigkeitsfeldes war zwar aufs Engste mit dem Heimatdienst abgestimmt und der Angeklagte sollte - hätte sich die Gelegenheit ergeben - auch in diesem Rahmen interessante Informationen übermitteln. Es hat sich in der Hauptverhandlung allerdings für keinen der Arbeitsplätze bestätigt, dass tatsächlich auch Wirtschaftsspionage betrieben wurde.
Die Vorsitzende Richterin verwies in der mündlichen Urteilsbegründung auf die außergewöhnlich gute und dichte Beweislage. Die Angeklagte Heidrun A. war bei der Durchsuchung der Familienwohnung in Marburg auf frischer Tat beim Funkempfang der Zentrale überrascht worden. Bei Auswertung der sichergestellten Computer konnten Fragmente des Funkverkehrs mit der Zentrale wiederhergestellt werden. Dennoch sind Fragen offen geblieben. Neben den wahren Identitä-ten der Angeklagten blieben der Umfang des Verrats in seiner Gänze und die genaue Zahl übermittelter Berichte aus den Niederlanden im Dunkeln.
Die Strafe wurde dem Strafrahmen des besonders schweren Falls nach § 99 Abs. 2 Strafgesetzbuch entnommen, der Freiheitsstrafe zwischen einem und zehn Jahren vorsieht. Es handelt sich nach der Bewertung des Senats um einen Verratsfall von erheblichem Gewicht, auch wenn sämtliche verratene Dokumente lediglich im niedrigsten Vertraulichkeitsgrad eingestuft waren und ein konkret messbarer Nachteil oder Schaden für Deutschland, die Niederlande, die NATO und die EU vom Senat nicht beschrieben werden konnte. Die mit dem Verrat ein-hergehende Schädigung des Ansehens und die Unsicherheit aller NATO- und EU-Partner über dessen kompletten Umfang führten allerdings zu einer erheblichen Gefährdung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit und Geheimschutzfähigkeit der Bundesrepublik und ihrer Partner.
Der Senat hat bei der Strafzumessung u. a. die sehr lange Dauer und Intensität der hauptamtlichen und gut besoldeten geheimdienstlichen Tätigkeit sowie die ungewöhnliche Häufung konspirativer Elemente berücksichtigt. Durch ihre hervorragende nachrichtendienstliche Ausbildung und die sorgfältig und aufwändig gestalteten Legenden sowie die ihnen nach den Funksprüchen ganz offensichtlich im Laufe der Zeit zugewachsenen eigenen Gestaltungsspielräume, ging von den Angeklagten eine weit überdurchschnittliche große abstrakte Gefahr für die Bun-desrepublik aus. Von besonderem Gewicht war schließlich auch die von den bei-den Angeklagten arbeitsteilig ausgeübte Tätigkeit als Instrukteure des niederlän-dischen Beamten.
Urteil vom 02. Juli 2012
Az.4b-3 StE 5/12
Ergänzende Hinweise:
§ 99 StGB - Geheimdienstliche Agententätigkeit
(1) Wer
1. für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist, oder
2. gegenüber dem Geheimdienst einer fremden Macht oder einem seiner Mittelsmänner sich zu einer solchen Tätigkeit bereit erklärt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 94 oder § 96 Abs. 1, in § 97a oder in § 97b in Verbindung mit § 94 oder § 96 Abs. 1 mit Strafe bedroht ist.
(2) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein be-sonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung geheimgehalten werden, mitteilt oder liefert und wenn er
1. eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung solcher Geheimnisse besonders verpflichtet, oder
2. durch die Tat die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.
(3) § 98 Abs. 2 gilt entsprechend.
Gemäß § 73 StGB wird der Verfall eines Vermögensvorteils angeordnet, wenn der Täter diesen aus einer rechtswidrigen Tat erlangt hat. Sinn dieser Vorschrift ist es, unrechtmäßig erlangten Vermögenszuwachs abzuschöpfen, also einen rechtswidrig erlangten Gewinn zu beseitigen. Ist ein bestimmter Gegenstand nicht mehr beschaffbar oder der Verfall aus einem anderen Grunde nicht möglich, so ist nach § 73a StGB Wertersatz zu leisten.