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OLG Stuttgart bestimmt Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen EY von Aktionären der Wirecard AG

Datum: 29.06.2021

Kurzbeschreibung: 

OLG Stuttgart bestimmt Zuständigkeit für Schadensersatzklagen gegen EY von Aktionären der Wirecard AG

Der unter anderem für Berufungen und Beschwerden in Rechtsstreitigkeiten aus Mandatsverhältnissen der Wirtschaftsprüfer zuständige 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat mit Beschlüssen vom 28.06.2021 in mehreren Parallelverfahren entschieden, dass das Landgericht München I als zuständiges Gericht über Schadensersatzklagen von Aktionären der Wirecard AG mit Sitz in München zu entscheiden hat, auch wenn die Klagen nur gegen die Ernst & Young GmbH mit Sitz in Stuttgart gerichtet sind und nicht zugleich die Wirecard AG verklagt wird.

 

Die Aktionäre der Wirecard AG hatten die beklagte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zunächst vor dem Landgericht Stuttgart auf Schadensersatz in Anspruch genommen mit der Begründung, diese habe Konzernabschlüsse der Wirecard AG für mehrere Jahre ohne ordnungsgemäße Prüfung testiert. Deswegen seien Manipulationen der Jahresabschlüsse lange Zeit unentdeckt geblieben. Bei pflichtgemäßer Prüfung wären die Manipulationen früher entdeckt worden, was dazu geführt hätte, dass die Kläger keine Aktien der Wirecard AG gekauft hätten und ihnen durch den nach Entdeckung der Manipulationen eingetretenen Kursverfall kein Schaden entstanden wäre.

 

Das Landgericht Stuttgart erklärte sich für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das seiner Ansicht nach zuständige Landgericht München I. Dieses hat sich gleichfalls für örtlich unzuständig erklärt und hat den Rechtsstreit zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt.

 

Haben sich verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, rechtskräftig für unzuständig erklärt, ist das zuständige Gericht nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht zu bestimmen. Nachdem die Klage zuerst beim Landgericht Stuttgart erhoben worden ist, ist vorliegend das Oberlandesgericht Stuttgart zu dieser Entscheidung berufen.

 

Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Stuttgart ist das Landgericht München I zum einen schon deswegen zuständig, weil das Landgericht Stuttgart den Rechtsstreit mit bindender Wirkung dorthin verwiesen habe. Die Bindungswirkung entfalle nur, wenn eine Verweisung auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruhe oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehre und deswegen als willkürlich anzusehen sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

 

Zum anderen sei das Landgericht München I aber auch ausschließlich zuständig. Obwohl der Sitz der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Bezirk des Landgerichts Stuttgart liege, was normalerweise zur örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart führe (allgemeiner Gerichtsstand), sei vorliegend ein besonderer, ausschließlicher Gerichtsstand in München begründet, der die Zuständigkeit des Landgerichts Stuttgart verdränge. Das Landgericht München I sei nämlich nach § 32b Abs. 1 Nr. 1 ZPO ausschließlich zuständig.

 

Nach dieser Vorschrift ist für Klagen, in denen ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation geltend gemacht wird, das Gericht am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft ausschließlich zuständig, wenn sich dieser Sitz im Inland befindet.

 

Der Senat hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen bejaht. Die von der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verantworteten Bestätigungsvermerke auf den Konzernabschlüssen der Wirecard AG stellten öffentliche Kapitalmarktinformationen dar, weil die Vermerke für eine Vielzahl von Kapitalanlegern bestimmte Informationen über Tatsachen, Umstände, Kennzahlen und sonstige Unternehmensdaten enthielten, die die Aktiengesellschaft als Emittent von Wertpapieren betreffen.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelte die Einschränkung in § 32b Abs. 1 ZPO, wonach ein gemeinsamer ausschließlicher Gerichtsstand nur dann begründet ist, wenn die Klage zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet ist, in der vorliegenden Fallgestaltung nicht. Damit sei das Landgericht München I für die vorliegenden Rechtsstreite ausschließlich örtlich zuständig, obwohl die Klagen der Aktionäre nicht auch gegen die Wirecard AG gerichtet seien.

 

Der Senat hat sich daran gehindert gesehen, die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorzulegen. Eine solche Vorlage würde voraussetzen, dass der Senat bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen wolle. Dies sei nicht der Fall.

 

Aktenzeichen:
LG
München I : 28 O 3098/21 u.a.

OLG Stuttgart - AZ: 12 AR 6/21 bis 12 AR 17/21- Beschlüsse vom 28.06.2021

Relevante Vorschriften:

Zivilprozessordnung

§ 36
Gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit

(1)   Das zuständige Gericht wird durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt:

6.

wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben.

(2) Ist das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Bundesgerichtshof, so wird das zuständige      Gericht durch das Oberlandesgericht bestimmt, zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht gehört.

(3) Will das Oberlandesgericht bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofs abweichen, so hat es die Sache unter Begründung seiner Rechtsauffassung dem Bundesgerichtshof vorzulegen. In diesem Fall entscheidet der Bundesgerichtshof.

§ 281
Verweisung bei Unzuständigkeit

(1)   Ist auf Grund der Vorschriften über die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte die Unzuständigkeit des Gerichts auszusprechen, so hat das angegangene Gericht, sofern das zuständige Gericht bestimmt werden kann, auf Antrag des Klägers durch Beschluss sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht zu verweisen. Sind mehrere Gerichte zuständig, so erfolgt die Verweisung an das vom Kläger gewählte Gericht.

(2)   …..Der Beschluss ist unanfechtbar. Der Rechtsstreit wird bei dem im Beschluss bezeichneten Gericht mit Eingang der Akten anhängig. Der Beschluss ist für dieses Gericht bindend.

§ 32b
Ausschließlicher Gerichtsstand bei falschen, irreführenden oder unterlassenen öffentlichen Kapitalmarktinformationen

(1) Für Klagen, in denen

1.

ein Schadensersatzanspruch wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformation,…

geltend gemacht wird,,

ist ist das Gericht ausschließlich am Sitz des betroffenen Emittenten, des betroffenen Anbieters von sonstigen Vermögensanlagen oder der Zielgesellschaft zuständig, wenn sich dieser Sitz im Inland befindet und die Klage zumindest auch gegen den Emittenten, den Anbieter oder die Zielgesellschaft gerichtet wird.

 

 

 

 

 

 

 

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