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Urteil des OLG Stuttgart u.a. wegen Kriegsverbrechens und versuchten Kriegsverbrechens und Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (IS) in Syrien

Datum: 19.11.2020

Kurzbeschreibung: 

Urteil des OLG Stuttgart u.a. wegen Kriegsverbrechens und versuchten Kriegsverbrechens und Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (IS) in Syrien

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilte heute unter dem Vorsitz von Herbert Anderer einen 32 Jahre alten syrischen Staatsangehörigen wegen eines versuch-ten Kriegsverbrechens gegen Personen durch Tötung in Tateinheit mit gefährlicher Kör-perverletzung, eines Kriegsverbrechens gegen Personen durch Folter in zwei tateinheitli-chen Fällen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereini-gung sowie wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren.


Der Senat verhandelte seit dem 24. Oktober 2019 an 58 Tagen und hörte im Rahmen der Beweisaufnahme fast 50 Zeugen und mehrere Sachverständige.


Im Wesentlichen konnte der Senat folgenden Sachverhalt feststellen: Der Angeklagte schloss sich im Jahr 2011 oder 2012 in Syrien einer bewaffneten Gruppierung an, die sich am Widerstand gegen das Assad-Regime beteiligte. Am 12. Dezember 2012 führte diese Gruppierung gemeinsam mit anderen Einheiten einen Angriff auf den militärischen Flugha-fen von Deir ez-Zor durch, der zu dieser Zeit vom syrischen Regime kontrolliert wurde. Bei dem Angriff kamen mehrere Mitglieder der Gruppierung des Angeklagten, mit denen ihn teils eine enge Freundschaft verband, zu Tode. Um den Tod seiner Freunde und Kamera-den zu rächen, feuerte der Angeklagte in Tötungsabsicht auf einen Gefangenen, den sei-ne Gruppierung an diesem Tag in ihre Gewalt gebracht hatte, mehrere Schüsse ab. Das Tatopfer musste sich dabei mit auf den Rücken gefesselten Händen vor dem Angeklagten hinknien. Nicht ausschließen konnte der Senat, dass auch weitere Mitglieder der Gruppie-rung auf den Gefangenen schossen, ohne dass dem eine Absprache mit dem Angeklag-ten zugrunde lag. Der Gefangene verstarb sogleich an seinen Schussverletzungen. Ob gerade die vom Angeklagten abgegebenen Schüsse seinen Tod herbeiführten, konnte der Senat nicht feststellen. Nachdem der Islamische Staat (IS) in der Region die Macht über-nommen hatte, schloss sich der Angeklagte im Juni 2014 der Vereinigung an und ordnete sich deren Befehlsgewalt bis zu seiner Ausreise aus Syrien zwischen Mitte August und Anfang Oktober 2014 unter. Er nahm an Kontrollfahrten der Vereinigung teil und war an Straßenkontrollen des IS tätig, um den Machtanspruch der Vereinigung zu verdeutlichen und die Einhaltung der vom IS aufgestellten Verhaltensregeln zu überwachen. Zudem be-teiligte sich der Angeklagte in einer vom IS zum Gefängnis umfunktionierten Schule. So war er an der Festnahme eines Zivilisten in dessen Haus beteiligt, der trotz Verbot ge-raucht hatte. Im Gefängnis wirkte er weiter an der Folterung zweier Brüder im Alter zwi-schen 16 und 17 Jahren mit. Diese waren zuvor von einer Kontrolle des IS aufgegriffen und wegen sexualbezogener Inhalte auf ihrem Mobiltelefon inhaftiert worden.


Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte der Senat hinsichtlich der Tötung des Gefangenen am 12. Dezember 2012 insbesondere, dass die Tat in einer für das Opfer besonders demütigenden Weise durchgeführt wurde. Andererseits war dem Angeklagten zugutezuhalten, dass er nicht vorbestraft war, die Tat lange zurücklag und seine Wut auf den Gefangenen wegen des Todes seiner Freunde in gewissen Weise nachvollziehbar war. Im Hinblick auf die mitgliedschaftlichen Taten des Angeklagten beim IS würdigte der Senat darüberhinausgehend zu seinen Lasten, dass er sich einer Vereinigung ange-schlossen hat, die mit äußerster Brutalität sowohl gegen Gegner als auch unbeteiligte Drit-te vorgegangen ist und die für zahlreiche Anschläge und Todesopfer, darunter viele Zivilis-ten, verantwortlich ist. Auch war seine Tätigkeit im Gefängnis von besonderem Gewicht für die Sicherung der Macht der Vereinigung. Soweit es die Folterung der Brüder im Gefäng-nis betrifft, wurde erschwerend das jugendliche Alter der Geschädigten gewertet. Zudem war bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte eine in anderer Sa-che verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten mittlerweile vollständig verbüßt hat, die andernfalls in die Gesamtstrafe hätte miteinbezogen werden können.


Dem Angeklagten war in der Anklage darüber hinaus zur Last gelegt worden, er habe sich im Rahmen seiner Mitgliedschaft beim Islamischen Staat an der Hinrichtung einer geistig behinderten Person, an der körperlichen Misshandlung eines älteren Mannes in einem vom IS betriebenen Gefängnis und an einer weiteren von IS-Mitgliedern begangenen Kör-perverletzung beteiligt Diesbezüglich konnte sich der Senat von der Schuld des Angeklag-ten jedoch nicht überzeugen. Insoweit wurde der Angeklagte daher freigesprochen.
Der Senat hat Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Urteil ist nicht rechtskräf-tig. Dem Angeklagten und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof steht ge-gen das Urteil das Rechtmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.


Aktenzeichen


5 - 3 StE 6/19 – Oberlandesgericht Stuttgart
3 BJs 5/16-6 – Bundesanwaltschaft
3 StE 6/19


Relevante Normen:


§ 8 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) - Kriegsverbrechen gegen Personen

(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt
1. eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet,
2. …
3. eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person grausam oder unmenschlich behan-delt, indem er ihr erhebliche körperliche oder seelische Schäden oder Leiden zufügt, insbesondere sie foltert oder verstümmelt,
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe, … , in den Fällen der Nummern 3 bis 5 mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, … bestraft.



§ 129a Abs. 1 und Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB) – Bildung terroristischer Vereinigungen:

(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,
1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Ver-brechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.


§ 129b Abs. 1 StGB – Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland:

Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereini-gung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Be-strebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Um-stände als verwerflich erscheinen.



§ 224 StGB - Gefährliche Körperverletzung

(1) Wer die Körperverletzung
1. …
2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3. …
4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder …
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Frei-heitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.



§ 22 StGB

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmit-telbar ansetzt.



§ 23 StGB - Strafbarkeit des Versuchs

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

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