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Urteil des 2. Zivilsenats: Holzvermarktungspraxis des Landes Baden- Württemberg in den Jahren 1978 bis 2015 war kartellrechtswidrig.

Datum: 15.08.2024

Kurzbeschreibung: 

Urteil des 2. Zivilsenats: Holzvermarktungspraxis des Landes Baden-Württemberg in den Jahren 1978 bis 2015 war kartellrechtswidrig. Land Baden-Württemberg haftet für überhöhte Einkaufspreise dem Grunde nach. Verfahren zur Klärung der Schadenshöhe an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen. Klage teilweise abgewiesen, soweit Beschaffungsvorgänge des vermarkteten Holzes nicht hinreichend dargelegt und nachgewiesen wurden.

Der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat unter Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Christoph Stefani mit Urteil vom heutigen Tag entschieden, dass der Klägerin gegen das Land Baden-Württemberg dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz wegen kartellrechtswidriger Vereinbarungen über die Vermarktung von Rundholz zusteht.

 

Sachverhalt und Entscheidung des Landgerichts

Von den Waldflächen in Baden-Württemberg gehören ca. 24 % dem Land Baden-Württemberg, ca. 38 % kommunalen Eigentümern (Gemeinden) und ca. 37 % Privateigentümern. Jedenfalls von 1978 bis 2015 vermarktete die Forstverwaltung des beklagten Landes ca.
68 % des sogenannten Rundholzes, das von diesen Waldflächen stammte, zentral. Dabei fasste sie die Holzmengen, die vom Land, den kommunalen und privaten Eigentümern stammten, jeweils zu einheitlichen Angeboten zusammen. Mit den kommunalen und privaten Eigentümern, die an dieser zentralen Vermarktung teilnahmen, hatte sie vereinbart, dass sie das Rundholz dieser Eigentümer zu den jeweils erzielbaren Marktpreisen bestmöglich verkauft. Das Rundholz verkaufte das beklagte Land an Sägewerke. Die vom Land geforderten Preise variierten je nach Qualitätsstufe und Holzart, waren jedoch unabhängig von der Herkunft des Rundholzes, sodass für Rundholz aus Wäldern des Landes, der Kommunen und der privaten Eigentümer dieselben Preise verlangt wurden. Wegen dieser gemeinsamen Vermarktung führte das Bundeskartellamt gegen das Land Ermittlungen durch und erließ zuletzt im Jahr 2015 eine Entscheidung, mit der es dem Land u. a. den gemeinschaftlichen Holzverkauf in der bisherigen Form untersagte. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Landes Baden-Württemberg wies das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 2017 zurück. Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung im Jahr 2018 aus formalen Gründen auf. Zum 01.09.2015 stellte das Land den gemeinschaftlichen Holzverkauf in der bisherigen Form ein.

 

Mit ihrer Klage macht die Klägerin gegenüber dem beklagten Land im Rahmen einer Sammelklage die ihr von 36 Sägewerken abgetretenen Ansprüche geltend. Das Land habe durch den gemeinschaftlichen Holzverkauf einen schuldhaften Kartellverstoß begangen, aufgrund dessen die Sägewerksbesitzer im Zeitraum von 1978 bis 2016 überhöhte Preise für die Lieferung von Rundholz bezahlt hätten. Insgesamt sei hieraus ein Schaden in Höhe von rund 270 Mio. Euro entstanden. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin daher Schadensersatz in Höhe von insgesamt rund 270 Mio. Euro zzgl. Zinsen in Höhe von ca. 200 Mio. Euro.

 

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Abtretungen der Ansprüche der Sägewerksbesitzer an die Klägerin gegen §§ 3 und 4 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) verstoßen hätten und deshalb unwirksam seien. Die Klägerin sei daher nicht Inhaberin der von ihr verfolgten Ansprüche geworden. Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt.

 

Entscheidung des 2. Zivilsenats

 

Teilgrundurteil und teilweise Klageabweisung

Der 2. Zivilsenat hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und einen Kartellverstoß des beklagten Landes bejaht. Er hat daher den Klageantrag Ziffer 1 hinsichtlich eines Teils der geltend gemachten Schadensersatzansprüche dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Insoweit hat der Senat das Verfahren an das Landgericht zur Klärung der Schadenshöhe zurückverwiesen. Von dem Grundurteil umfasst sind im Wesentlichen die Schadensersatzansprüche, denen Beschaffungsvorgänge zugrunde liegen, die entweder über das beklagte Land abgewickelt wurden oder – bei einem Erwerb des Rundholzes von einem Dritten – durch Rechnungen oder sonstige Belege nachgewiesen sind.

 

Im Übrigen hat der Senat den Klageantrag Ziffer 1 ungeachtet des bejahten Kartellverstoßes als unbegründet abgewiesen. Die Klagabweisung betrifft zum einen Schadensersatzansprüche aus Beschaffungsvorgängen, die nicht über das beklagte Land abgewickelt wurden, daher vom beklagten Land zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten werden durften und für die die Klägerin keine Nachweise vorgelegt hat. Außerdem hat der Senat den Klageantrag Ziffer 2 abgewiesen, mit dem die Klägerin rund 75 Mio. Euro zzgl. Zinsen i.H.v. rund 88 Mio. Euro verlangt hat. Insoweit hat die Klägerin die einzelnen Beschaffungsvorgänge, die den geltend gemachten Schadensersatzansprüchen zugrunde liegen, schon nicht hinreichend dargelegt.

 

Entscheidung des Senats zum Kartellverstoß des Landes Baden-Württemberg

Die Abtretung der Schadensersatzansprüche verstößt entgegen dem Landgericht nicht gegen das RDG und ist daher wirksam. Der Senat hatte sich daher – anders als das Landgericht – damit zu befassen, ob ein Kartellverstoß vorliegt.

 

Verboten sind nach Artikel 101 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und die die Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.

 

Die Holzvermarktungspraxis des beklagten Landes begründet danach einen Kartellverstoß. Das beklagte Land hat durch die Vereinbarungen über die gemeinschaftliche Vermarktung und den gebündelten Verkauf des Rundholzes schuldhaft gegen das Kartellverbot aus Artikel 101 Absatz 1 AEUV verstoßen, soweit diese Vereinbarungen mit Kommunen getroffen worden sind, die über eine Waldfläche von mehr als 100 ha verfügt haben. Denn diese Kommunen hätten das Holz aus ihren Wäldern auch ohne Hilfe des Landes vermarkten können. Demgegenüber war kleineren Waldbesitzern eine Holzvermarktung nur mit der Hilfe des beklagten Landes möglich, so dass insoweit kein Kartellverstoß vorliegt.

 

Durch die Vereinbarungen mit den kommunalen Waldbesitzern mit einer Waldfläche von mehr als 100 ha ist der Wettbewerb spürbar beeinträchtigt worden. Das Land ist der Klägerin daher aufgrund der abgetretenen Ansprüche dem Grunde nach zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet.

 

Einordnung des Urteils

 

Das Urteil ist sowohl hinsichtlich des Teilgrundurteils als auch des klagabweisenden Teils nicht rechtskräftig. Der 2. Zivilsenat hat die Revision zum Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

 

Soweit der Senat mit dem heutigen Teilgrundurteil entschieden hat, dass der Klägerin ein Kartellschadensersatzanspruch dem Grunde nach zusteht, handelt es sich um ein besonderes Zwischenurteil. Dieses hat den Zweck, dass zunächst abschließend geklärt werden soll, ob der hier geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Kartellschadensersatz dem Grunde nach besteht.

 

In einem auf das Grundurteil folgenden Betragsverfahren wird sodann über die konkrete Höhe des zu zahlenden Kartellschadensersatzanspruchs entschieden. Vorliegend hat der Senat den Rechtsstreit zur Durchführung des Betragsverfahrens an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen. Mit dem Betragsverfahren wird in der Praxis regelmäßig erst dann begonnen, wenn das Grundurteil rechtskräftig ist.

 

Mit dem Erlass eines Grundurteils sollen insbesondere komplexe Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Vermeiden möchte man insbesondere, dass ein Gericht einen Schadensersatzanspruch dem Grunde nach bejaht, deshalb eine umfangreiche Beweisaufnahme zur konkreten Höhe des oft viele Einzelpositionen umfassenden Schadensersatzanspruchs durchführt und danach in der Berufungs- oder Revisionsinstanz ein Anspruch bereits dem Grunde nach verneint bzw. die Klage aus anderen Gründen abgewiesen wird. Denn dann hätte sich erst am Ende des Rechtsstreits herausgestellt, dass es auf das Ergebnis der umfangreichen Beweisaufnahme gar nicht ankommt und die Beweisaufnahme gar nicht hätte durchgeführt werden müssen.

 

Aktenzeichen

2 U 30/22 - Oberlandesgericht Stuttgart - Urteil vom 15.08.2024

30 O 176/19 - Landgericht Stuttgart - Urteil vom 20.01.2022

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