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OLG Stuttgart setzt zwei Verfahren gegen die Porsche Automobil Holding SE wegen Schadensersatzforderungen aufgrund der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal aus

Datum: 29.10.2019

Kurzbeschreibung: 

OLG Stuttgart setzt zwei Verfahren gegen die Porsche Automobil Holding SE wegen Schadensersatzforderungen aufgrund der Verletzung kapitalmarktrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal aus

Der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Wolfgang Reder hat mit zwei heutigen Beschlüssen die Verfahren zweier japanischer Fondsgesellschaften mit Sitz in New York sowie eines Pensionsfonds, der von einer britischen Stadt gehalten wird, wegen Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit dem sog. VW-Abgasskandal ausgesetzt bis zur rechtskräftigen Entscheidung in den Kapitalanlegermusterverfahren der Oberlandesgerichte Braunschweig und Stuttgart.

Dem liegt zugrunde, dass das Landgericht Stuttgart mit zwei Urteilen vom September und Oktober 2018 die beklagte Porsche SE zu Schadensersatzzahlungen wegen unterlassener Ad-hoc-Mitteilungen in Höhe von insgesamt rund 47 Millionen Euro verurteilt hat. Dagegen richten sich mit ihren Berufungen sowohl die Porsche SE als auch die Klägerinnen beider Verfahren, die jeweils noch weitere Schadensersatzforderungen, insgesamt in Höhe von rund 165 Mio. €, geltend machen.

Mit seinen heutigen Beschlüssen hat das Oberlandesgericht in beiden Verfahren das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 Abs.1 Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) festgestellt; diese Regelung führt zwingend zur Aussetzung eines Verfahrens, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den in einem Musterverfahren geltend gemachten Feststellungszielen abhängt.

Das KapMuG sei auf alle Schadensersatzansprüche wegen falscher, irreführender oder unterlassener öffentlicher Kapitalmarktinformationen anwendbar. Die vorliegenden Rechtsstreite seien auch nicht schon deshalb entscheidungsreif, weil die Klagen unzulässig wären. Vielmehr seien alle drei Klägerinnen, d.h. die japanischen Fondsgesellschaften und die Stadt Wolverhampton, die als Sondervermögen einen Pensionsfonds unterhält, partei- und prozessfähig. Die deutschen Gerichte seien auch international zu-ständig und deutsches Recht anwendbar.

Die Entscheidung, ob die Schadensersatzklagen in den beiden Verfahren begründet seien, hänge von den Feststellungszielen des Braunschweiger Musterverfahrens 3 Kap 1/16 sowie des Stuttgarter Musterverfahrens 20 Kap 2/17 ab. Letzteres liegt derzeit dem Bundesgerichtshof im Beschwerdeverfahren vor (vgl. PM vom 27.03.19 hier). Das Braunschweiger Musterverfahren beziehe sich insbesondere auf tatsächliche und rechtliche Fragen des Vorliegens von nicht unverzüglich veröffentlichten Insiderinformationen, der Befreiung der VW AG von der Pflicht zur Veröffentlichung, deren Vorsatz sowie u.a. der Schadensberechnung. Diese, zunächst die VW AG betreffenden, Feststellungsziele aus dem Braunschweiger Verfahren seien auch für die streitgegenständlichen Ansprüche gegen die hier beklagte Porsche SE rechtlich und tatsächlich vorgreiflich. Dies gelte auch hinsichtlich der ggf. durch eine Beweisaufnahme zu klärenden tatsächlichen Ge-schehensabläufe des sog. Abgasskandals bei der VW AG.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts liege diesen Rechtsstreiten auch der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde wie dem Musterverfahren 3 Kap 1/16 des OLG Braunschweig, obwohl kapitalmarkrechtliche und deliktische Pflichtverletzungen unterschiedlicher Emittenten, einerseits der VW AG und andererseits der hier beklagten Porsche Automobil Holding SE, geltend gemacht werden. Beide gingen jedenfalls auf den im Braunschweiger Musterverfahren aufzuklärenden und rechtlich zu bewertenden sog. Diesel-Abgas-Skandal zurück.

Nach den Beschlüssen des Berufungsgerichts seien daher beide Verfahren wegen des zwingenden Charakters der Aussetzungsvorschrift des § 8 Abs. 1 KapMuG zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen sowohl im Hinblick auf das Braunschweiger als auch auf das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene Stuttgarter Musterverfahren auszusetzen.

Das Oberlandesgericht hat in beiden Verfahren die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen, da die Frage nach dem Umfang der Sperrwirkung gemäß § 7 KapMuG und der Aussetzungspflicht gemäß § 8 KapMuG noch nicht höchstrichterlich geklärt sei.

Aktenzeichen:
LG Stuttgart    22 O 348/16 - Urteil vom 12.09.2018
                        22 O 101/16 - Urteil vom 24.10.2018
OLG Stuttgart: 1 U 205/18
                         1 U 204/18 Beschlüsse vom 29.10.2019

Relevante Vorschriften:
Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG)
§ 7 KapMuG Sperrwirkung des Vorlagebeschlusses

Mit Erlass des Vorlagebeschlusses ist die Einleitung eines weiteren Musterverfahrens für die gemäß § 8 Absatz 1 auszusetzenden Verfahren unzulässig. Ein gleichwohl ergangener Vorlagebeschluss ist nicht bin-dend.

§ 8 KapMuG Aussetzung
(1) Nach der Bekanntmachung des Vorlagebeschlusses im Klageregister setzt das Prozessgericht von Amts wegen alle bereits anhängigen oder bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsziele im Musterverfahren noch anhängig werdenden Verfahren aus, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von den geltend gemachten Feststellungszielen abhängt. Das gilt unabhängig davon, ob in dem Verfahren ein Musterverfahrensantrag gestellt wurde.

Gesetz über den Wertpapierhandel vom 03.07.2015 (a.F.)
Wertpapierhandelsgesetz


§ 37b Schadenersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen

(1) Unterlässt es der Emittent von Finanzinstrumenten, die zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen sind, unverzüglich eine Insiderinformation zu veröffentlichen, die ihn unmittelbar betrifft, ist er einem Dritten zum Ersatz des durch die Unterlassung entstandenen Schadens verpflichtet, wenn der Dritte
1. die Finanzinstrumente nach der Unterlassung erwirbt und er bei Bekanntwerden der Insiderinformation noch Inhaber der Finanzinstrumente ist oder
2.die Finanzinstrumente vor dem Entstehen der Insiderinformation erwirbt und nach der Unterlassung veräußert.
(2) Nach Absatz 1 kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass die Unterlassung nicht auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht.
(3) Der Anspruch nach Absatz 1 besteht nicht, wenn der Dritte die Insiderinformation im Falle des Absatzes 1 Nr. 1 bei dem Erwerb oder im Falle des Absatzes 1 Nr. 2 bei der Veräußerung kannte.
(4) Weitergehende Ansprüche, die nach Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf Grund von Verträgen oder vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erhoben werden können, bleiben unberührt.
(5) Eine Vereinbarung, durch die Ansprüche des Emittenten gegen Vorstandsmitglieder wegen der Inan-spruchnahme des Emittenten nach Absatz 1 im Voraus ermäßigt oder erlassen werden, ist unwirksam.

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