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OLG Stuttgart erklärt Ablehnungsgesuch der Daimler AG gegen den Richter in einem Diesel-Abgas-Verfahren für begründet

Datum: 02.07.2020

Kurzbeschreibung: 

OLG Stuttgart erklärt Ablehnungsgesuch der Daimler AG gegen den Richter in einem Diesel-Abgas-Verfahren für begründet

Der 16a. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. Ziegler hat mit seinem heutigen Beschluss eine Entscheidung des Landgerichts Stuttgart aufgehoben und das Ablehnungsgesuch gegen einen Richter am Landgericht in einem gegen die Daimler AG geführten Schadensersatzprozess für begründet erklärt.

Dem liegt zugrunde, dass der abgelehnte Richter in 21 Verfahren, in denen der Daimler AG vorgeworfen wird, die jeweiligen Kläger durch den Verbau unzulässiger Abschalteinrichtungen geschädigt zu haben, einen gemeinsamen Verhandlungstermin am 13.November 2019 bestimmt hatte. Die Verfahren stammten aus zwei Zivilkammern des Landgerichts Stuttgart, in denen der Richter bis zum Jahresende jeweils hälftig tätig war. In dem Verhandlungstermin hatte der als Einzelrichter tätige Richter u.a. eine 73 Seiten umfassende eigene Stellungnahme zu rechtspolitischen Fragen und zur Rechtslage verlesen und den Prozessbeteiligten ausgehändigt. Am Ende der Verhandlung hatte er alle Verfahren des Sammeltermins zu einem Verfahren verbunden, um dieses dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Das vorliegende Verfahren war nicht Gegenstand des Sammeltermins.

 

Das Landgericht Stuttgart hat das Ablehnungsgesuch der Daimler AG zurückgewiesen. Die Beklagte habe ihr Ablehnungsrecht gemäß § 43 Zivilprozessordnung (ZPO) verloren, da sie den Antrag nicht bereits in dem Sammeltermin gestellt habe.

Diese Entscheidung des Landgerichts hat das Oberlandesgericht (OLG) nunmehr auf die sofortige Beschwerde der Beklagten aufgehoben und das Ablehnungsgesuch für begründet erklärt. Entgegen der Ansicht des Landgerichts entfalte ein möglicher Verlust des Ablehnungsrechts in den Verfahren des Sammeltermins jedenfalls keine Wirkung für das vorliegende Verfahren. Auch lägen die Voraussetzungen einer Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters vor: Die materiell- und verfahrensrechtlichen Umstände seien in ihrer Gesamtheit geeignet, aus Sicht einer vernünftigen Partei in der Rolle der Beklagten, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit dieses Richters zu begründen.

 

So erwecke die 73-seitige Protokollanlage den Eindruck, dass der abgelehnte Richter den im Zivilprozess geltenden Beibringungsgrundsatz verletze, in dem er einseitig zum Nachteil der Beklagten den Sachverhalt erforsche. Auch stelle er die Rechtslage zur Frage der Nutzungsentschädigung zum Nachteil der Beklagten verfälschend dar. Er setze die Daimler AG mit der VW AG und den dieser gemachten Täuschungsvorwürfen gleich, ohne sich dabei auf eine erwiesene Tatsachengrundlage zu stützen. Der abgelehnte Richter erwecke den Eindruck, dass er nicht nur den Tatsachenvortrag der Parteien darstelle, sondern eine im Zivilverfahren unzulässige Amtsermittlung betreibe.

 

Der Richter vermittle den Eindruck, zwischen der VW AG und der Beklagten nicht zu differenzieren. Dabei entfalte auch der Umstand Bedeutung, dass die Ehefrau des abgelehnten Richters gegen die VW AG eine Klage wegen sittenwidriger Schädigung führe. Die Daimler AG müsse daher befürchten, dass der Richter mit der öffentlichkeitswirksamen Protokollanlage nicht nur in den Verfahren des Sammeltermins, sondern auch im vorliegenden Verfahren aus einer privaten Motivation heraus eine für sie ungünstige Rechtsauffassung vertrete.

 

Die Besorgnis der Befangenheit des Richters folge zudem aus einer grob verfahrensfehlerhaften Prozessführung.  So habe der abgelehnte Richter wissentlich in unzulässiger Weise spruchkörperübergreifend Verfahren zweier Zivilkammern ohne Zustimmung der Parteien und ohne eine Grundlage im Geschäftsverteilungsplan verbunden. Des Weiteren habe er vor der Vorlage der Verfahren an den EuGH diese nicht den jeweiligen Zivilkammern zur Entscheidung über eine mögliche Übernahme durch die Kammern wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Verfahren vorgelegt.

 

Alle diese Umstände begründeten bei der Beklagten die Befürchtung, der Richter stehe ihr nicht unbefangen gegenüber, sondern möchte einen Prozessgewinn des Klägers aktiv fördern.

 

Die durch das OLG für begründet erklärte Ablehnung des Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit führt dazu, dass der abgelehnte Richter in diesem Verfahren nicht mehr tätig werden kann.

 

Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel. Der Senat hat noch über weitere gleichartige Beschwerden zu entscheiden.



Aktenzeichen:
LG   Stuttgart    - 3 O 57/20  -     Beschluss vom 24.01.2020

OLG Stuttgart: -  16a W 3/20  -  Beschluss vom 01.07.2020



Relevante Vorschriften:                    

Zivilprozessordnung

§ 42
Ablehnung eines Richters

(1) Ein Richter kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden.

(2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

(3) Das Ablehnungsrecht steht in jedem Fall beiden Parteien zu.

§ 43
Verlust des Ablehnungsrechts

Eine Partei kann einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit nicht mehr ablehnen, wenn sie sich bei ihm, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in eine Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat.

§ 147
Prozessverbindung

Das Gericht kann die Verbindung mehrerer bei ihm anhängiger Prozesse derselben oder verschiedener Parteien zum Zwecke der gleichzeitigen Verhandlung und Entscheidung anordnen, wenn die Ansprüche, die den Gegenstand dieser Prozesse bilden, in rechtlichem Zusammenhang stehen oder in einer Klage hätten geltend gemacht werden können.

§ 348
Originärer Einzelrichter

(1) Die Zivilkammer entscheidet durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter….

(3) Der Einzelrichter legt den Rechtsstreit der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vor, wenn



1.

die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist,

2.

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat …

Die Kammer übernimmt den Rechtsstreit, wenn die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 vorliegen. Sie entscheidet hierüber durch Beschluss.

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