Navigation überspringen

6. Strafsenat verwirft Antrag auf Erhebung einer öffentlichen Klage gegen Stefan Wisniewski als unzulässig

Datum: 05.04.2017

Kurzbeschreibung: 

Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter dem Vorsitz von Dr. Claus Belling hat den Klageerzwingungsantrag des Bruders und des Sohnes des am 7. April 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback als unzulässig verworfen. Der Beschluss vom 27. März 2017 wurde dem Bevollmächtigten der Antragsteller und dem Generalbundesanwalt gestern bekannt gegeben.

Der Generalbundesanwalt hatte am 10. März 2016 in dem seit 2007 gegen Stefan Wisniewski geführten Ermittlungsverfahren (formal) nach § 154 Abs. 1 StPO von der weiteren Verfolgung der Tat abgesehen, da der Beschuldigte im Jahr 1981 wegen seiner Beteiligung an der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Dr. Hanns Martin Schleyer und seiner Begleiter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Der Sache nach verneinte der Generalbundesanwalt einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich einer mittäterschaftlichen Beteiligung des Beschuldigten an der Ausführung des Anschlags vom 7. April 1977. An einer – deshalb an sich gebotenen – Verfahrenseinstellung gemäß § 170 Abs. 2 StPO sah sich die Anklagebehörde allerdings gehindert, da sie den Beschuldigten für hinreichend verdächtig hält, an der Vorbereitung des Anschlags durch Teilnahme an den beiden Gruppentreffen der „RAF“-Mitglieder im November 1976 im Harz und Anfang 1977 in den Niederlanden beteiligt gewesen zu sein. Da sämtliche Vorwürfe in einem prozessualen Zusammenhang stehen, sei hierüber einheitlich zu entscheiden gewesen.

Die Antragsteller haben beantragt, den Generalbundesanwalt anzuweisen, gegen Stefan Wisniewski Anklage wegen mittäterschaftlicher Beteiligung an dem Anschlag zu erheben. Sie gehen davon aus, dass der Beschuldigte dem unmittelbaren Tatkommando des Anschlags vom 7. April 1977 angehört habe. Das Oberlandesgericht Stuttgart habe, so die Antragsteller, in dem im Juli 2012 beendeten Strafverfahren gegen Verena Becker umfangreiche Feststellungen zu den innerhalb der „RAF“ im Herbst 1976 begonnenen Vorbereitungen der sog. „Offensive 77“ getroffen, die darauf schließen ließen, dass auch eine Beteiligung des Beschuldigten an dem Anschlag vom 7. April 1977 naheliegend sei. Zudem stützen sich die Antragsteller auf ihre Interpretation der Feststellungen im Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 11. Juli 1979 gegen Siegfried Haag und Roland Mayer, die am 30. November 1976 festgenommen wurden und in deren Besitz sich umfangreiche Planungsunterlagen über den eigentlich für Anfang Dezember 1976 vorgesehenen Anschlag befanden, sowie auf weitere Beweisumstände, wie u. a. Äußerungen der früheren „RAF“-Mitglieder Peter-Jürgen Boock und Karl-Heinz Dellwo.

Der Senat hat die Frage der Statthaftigkeit des Klageerzwingungsverfahrens offen gelassen, weil er die weiteren Darlegungsanforderungen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht als erfüllt ansieht. Für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gelten nach den Regelungen des § 172 StPO und der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung hohe Anforderungen. Ein Antragsteller hat alle relevanten prozessualen und materiellen Fakten vorzutragen; eine Bezugnahme auf Akten ist nur bedingt zulässig. Die Antragsschrift muss es dem Oberlandesgericht ermöglichen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten und andere Akten eine „Schlüssigkeitsprüfung“ vorzunehmen.

Der Senat hat ausgeführt, dass die Antragsschrift im Hinblick auf die (behauptete) Beteiligung des Beschuldigten an dem Anschlag schon keine in sich geschlossene Schilderung des Sachverhalts zum objektiven Tatgeschehen und den inneren Tatbestandsmerkmalen enthalte. Insbesondere lasse der Antrag, der lediglich die Möglichkeit der Anwesenheit des Beschuldigten in der Nähe des Anschlagortes (als sog. Abdecker) in den Raum stellt, die konkrete Behauptung vermissen, inwieweit der Beschuldigte an dem Anschlag auf Generalbundesanwalt Buback und seine beiden Begleiter Wurster und Göbel am 7. April 1977 beteiligt gewesen sein soll. Zudem würden die Beweismittel, die den von den Antragstellern angenommenen hinreichenden Tatverdacht rechtfertigen sollen, nicht ausreichend mitgeteilt.



Relevante Normen

§ 154 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) - Teileinstellung bei mehreren Taten

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1. wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder

2. darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

 

§ 170 Strafprozessordnung (StPO) - Entscheidung über eine Anklageerhebung

(1) Bieten die Ermittlungen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, so erhebt die Staatsanwaltschaft sie durch Einreichung einer Anklageschrift bei dem zuständigen Gericht.

(2) Andernfalls stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Hiervon setzt sie den Beschuldigten in Kenntnis, wenn er als solcher vernommen worden ist oder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen war; dasselbe gilt, wenn er um einen Bescheid gebeten hat oder wenn ein besonderes Interesse an der Bekanntgabe ersichtlich ist.

 

§ 172 Strafprozessordnung (StPO) - Beschwerde des Verletzten; Klageerzwingungsverfahren

(1) Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so steht ihm gegen den Bescheid nach § 171 binnen zwei Wochen nach der Bekanntmachung die Beschwerde an den vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft zu. Durch die Einlegung der Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft wird die Frist gewahrt. Sie läuft nicht, wenn die Belehrung nach § 171 Satz 2 unterblieben ist.

(2) Gegen den ablehnenden Bescheid des vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft kann der Antragsteller binnen einem Monat nach der Bekanntmachung gerichtliche Entscheidung beantragen. Hierüber und über die dafür vorgesehene Form ist er zu belehren; die Frist läuft nicht, wenn die Belehrung unterblieben ist. Der Antrag ist nicht zulässig, wenn das Verfahren ausschließlich eine Straftat zum Gegenstand hat, die vom Verletzten im Wege der Privatklage verfolgt werden kann, oder wenn die Staatsanwaltschaft nach § 153 Abs. 1, § 153a Abs. 1 Satz 1, 7 oder § 153b Abs. 1 von der Verfolgung der Tat abgesehen hat; dasselbe gilt in den Fällen der §§ 153c bis 154 Abs. 1 sowie der §§ 154b und 154c.

(3) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss die Tatsachen, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, und die Beweismittel angeben. Er muss von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein; für die Prozesskostenhilfe gelten dieselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. Der Antrag ist bei dem für die Entscheidung zuständigen Gericht einzureichen.

(4) Zur Entscheidung über den Antrag ist das Oberlandesgericht zuständig. Die §§ 120 und 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes sind sinngemäß anzuwenden.
 

Aktenzeichen

6 Ws 2/16 - Oberlandesgericht Stuttgart

2 BJs 23/07-5 - Generalbundesanwalt

Diese Website verwendet Cookies. Weitere Informationen erhalten Sie unter Datenschutz.