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Urteil des OLG Stuttgart im sogenannten „Karlsruher Eiszeit-Prozess“ u.a. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung („Islamischer Staat“)

Datum: 02.12.2020

Kurzbeschreibung: 

Urteil des OLG Stuttgart im sogenannten „Karlsruher Eiszeit-Prozess“ u.a. wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung („Islamischer Staat“)  

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter dem Vorsitz von Herbert Anderer einen 32 Jahre alten deutschen Staatsangehörigen wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, dem „Islamischen Staat“ (IS), und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (IS) in sechs Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nicht nachzuweisen war ihm, dass er 2017 einen Anschlag mit einem Kraftfahrzeug auf die Besucher der zum Karlsruher Weihnachtsmarkt gehörenden Eislauffläche „Karlsruher Eiszeit“ geplant hatte.

Seit dem 12. November 2018 verhandelte der Senat an 83 Tagen und vernahm insgesamt 87 Zeugen und Sachverständige. Der Senat konnte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt feststellen:

Der Angeklagte wurde in Deutschland geboren und lebte bis zum Jahr 2006 mit seinen Eltern und Geschwistern in Freiburg. Im Jahr 2006 übersiedelte er mit seinen Eltern nach Erbil in den Irak, das Herkunftsland seiner Eltern, und legte dort sein Abitur ab. 2014 kehrte er im Alter von 25 Jahren nach Deutschland zurück.

Der Senat sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte Anfang 2015 von seinem damaligen Wohnort in Deutschland aus über verschiedene Chatrooms mit Mitgliedern und Sympathisanten des IS in Kontakt trat. In diesen Chats erklärte er sich einem IS-Mitglied gegenüber bereit, ihm bei der Verarbeitung propagandistischer Reden zu Videofilmen behilflich zu sein und veröffentlichte diese im Anschluss im Internet. Zudem übersandte er mehreren IS-Mitgliedern Links zum Download eines Programmes zur Änderung der IP-Adresse, um damit Aufenthaltsort und Internetaktivitäten zu verbergen.

Im Juni 2015 begab sich der Angeklagte nach Erbil und schloss sich spätestens zu Beginn des Jahres 2016 dem IS als Mitglied an. Seine Aufgabe war es, als Mittelsmann zwischen einem hochrangigen IS-Mitglied und einem bekannten Prediger und Imam aus Erbil zu agieren. Diese Mittlertätigkeit bestand u.a. darin, der Organisation Informationen weiterzuleiten, die der Imam über IS-Gegner zuvor gewonnen hatte. Der Imam wurde inzwischen in Erbil wegen seiner Verbindungen zum IS und wegen der Vorbereitung eines Anschlags auf den Gouverneurssitz in Erbil im Juli 2018 verurteilt. Bis zum Tod seines Kontaktmannes, des hochrangigen IS-Mitglieds, im Juni 2016 fungierte der Angeklagte auch als Ansprechpartner für Personen, die sich dem IS anschließen und in dessen Herrschaftsgebiet ausreisen wollten. Ihm oblag es, diese Personen seinem Kontaktmann vorzustellen und umgekehrt den potentiellen IS-Mitgliedern mögliche Ausreiserouten zu unterbreiten. Zudem erhielt der Angeklagte von seinem Kontaktmann kurz vor dessen Tod den Auftrag, in Deutschland einen terroristisch motivierten Anschlag zu begehen. Mit einem solchen Anschlag befasste sich der Angeklagte nach seiner Rückkehr nach Deutschland. Zu näheren Planungen kam es allerdings nicht, da sich zwei französische Austauschstudenten, mit denen der Angeklagte in einer Wohngemeinschaft lebte, Anfang Juni 2016 an die Polizei wandten. Sie hatten die Befürchtung, es könne sich bei dem Angeklagten um einen potentiellen Attentäter handeln.

Ende Juli 2016 reiste der Angeklagte erneut nach Erbil und spähte dort das Premier-ministergebäude als mögliches Anschlagsziel aus. Als er hiervon Fotografien anfertigte, um sie dem IS weiterzugeben, wurde er entdeckt und für zwei Monate inhaftiert. Einige Monate nach seiner Haftentlassung reiste der Angeklagte im Juli 2017 wieder nach Deutschland.

Der Senat konnte keine Feststellungen dazu treffen, ob der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt weiterhin Verbindungen zum IS unterhielt. Insbesondere war dem Angeklagten nicht nachzuweisen, dass er geplant hatte, in der Weihnachtszeit 2017 mit einem Kraftfahrzeug in die Menge der Besucher der zum Karlsruher Weihnachtsmarkt gehörenden Eislauffläche auf dem Schlossplatz zu fahren, um möglichst viele Menschen zu töten oder erheblich zu verletzen, wie ihm mit Anklageschrift des Generalbundesanwalts zur Last gelegt worden war. Der Tatverdacht gründete sich maßgeblich auf die Angaben einer Vertrauensperson des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, die sich in der Hauptverhandlung nicht erhärteten.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Dem Angeklagten und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof steht gegen das Urteil das Rechtmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.

Im Umfang der Verurteilung hat der Senat einen neuen Haftbefehl erlassen.

 

Aktenzeichen

 

5 - 2 StE 8/18 – Oberlandesgericht Stuttgart

2 StE 8/18 – Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof


 

Relevante Normen (Auszug):

 

§ 129a Abs. 1 und Abs. 5 StGB – Bildung terroristischer Vereinigungen:

(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

  1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
  2. Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b

zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. …


§ 129b Abs. 1 StGB – Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland:

Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

 

 

 

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