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Oberlandesgericht Stuttgart bestätigt Aufhebung einer nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung

Datum: 27.11.2013

Kurzbeschreibung: 

Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat heute unter dem Vorsitz von Joachim Saam einen Beschluss des Landgerichts Ellwangen bestätigt, mit der eine vom Landgericht Ravensburg am 19. Februar 2008 gemäß § 66b Abs. 2 StGB in der damals geltenden Fassung nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung beendet wird. In Baden-Württemberg war diese Frau die einzige weibliche Sicherungsverwahrte.

Die heute 47 Jahre alte Frau ist seit 1991 mehrfach bestraft worden, unter anderem wegen schwerer Brandstiftung, Raubdelikten und Nötigung. Sie wurde deshalb zuletzt am 19. Mai 2000 vom Landgericht Ravensburg zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen – insgesamt 7 Jahre 10 Monate – verurteilt. Mit weiterem Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 19. Februar 2008 wurde die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet, wobei auch das seit 2005 gezeigte Verhalten im Vollzug bewertet wurde. Die Verurteilte befindet sich seit 14. Dezember 1999 in Haft, seit 18. April 2008 in Sicherungsverwahrung.

Das Landgericht Ellwangen hat mit Beschluss vom 25. Oktober 2013 festgestellt, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung erledigt ist und die Verurteilte mit Rechtskraft der Entscheidung freizulassen ist. Die dagegen von der Staatsanwaltschaft Ravensburg eingelegte Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Fortdauer der Sicherungsverwahrung darf in den sog. Vertrauensschutzfällen - den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss v. 4. Mai 2011, 2 BvR 223/08) folgend - nach § 316f Abs. 2 Satz 2 EGStGB nur noch angeordnet werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Die psychische Störung muss mindestens mitursächlich für die hochgradige Gefahr sein.

In Übereinstimmung mit der Vorinstanz konnte der Senat das Vorliegen dieser Voraussetzungen bei der Verurteilten nicht feststellen. Bei ihr liegt zwar eine dissoziale und instabile Persönlichkeit und damit eine psychische Störung vor und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sie erneut straffällig werden wird. Nach den bisherigen Verurteilungen und dem eingeholten Sachverständigengutachten kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass eine hochgradige Gefahr der Begehung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten besteht. Die von der Verurteilten begangenen Körperverletzungsdelikte erfüllen schon nicht den Begriff der schweren Gewaltstraftat, die bei den Raubtaten mitgeführten Waffen (Springmesser, Gaspistole) wurden lediglich zur Drohung eingesetzt, auch die Brandstiftungsdelikte (angezündete Mülltonnen, Fahrzeuge) waren nicht gezielt gegen Menschen gerichtet. 

Die Strafvollstreckungskammer hat ein Sicherungskorsett von Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht angeordnet, um die Bevölkerung vor möglichen Straftaten zu schützen (engmaschige Kontrolle durch einen Bewährungshelfer, Waffenverbot, nächtliches Ausgangsverbot, technische Mittel zur Überwachung des Aufenthalts). Verstöße gegen diese Anordnungen sind strafbar.

 

Aktenzeichen:

1 Ws 224/13 (OLG Stuttgart);

5 StVK 607/12-F (LG Ellwangen vom 25. Oktober 2013);

87 VRs 11 Js 24358/99 (StA Ravensburg)

 

Ergänzende Hinweise:

§ 66b Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (in der vom 18.04.2007 bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung):

(1) Werden nach einer Verurteilung wegen eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder eines Verbrechens nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit den §§ 252, 255, oder wegen eines der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Vergehen vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, und wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung die übrigen Voraussetzungen des § 66 erfüllt sind. War die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Zeitpunkt der Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen im Sinne des Satzes 1 auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.

(2) Werden Tatsachen der in Absatz 1 Satz 1 genannten Art nach einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, erkennbar, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

(3) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn

  1. die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 wegen mehrerer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 genannten Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
  2. die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Maßregel ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Art 316f Übergangsvorschrift zum Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung

(1) Die bisherigen Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind in der ab dem 1. Juni 2013 geltenden Fassung anzuwenden, wenn die Tat oder mindestens eine der Taten, wegen deren Begehung die Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden soll (Anlasstat), nach dem 31. Mai 2013 begangen worden ist.

(2) In allen anderen Fällen sind, soweit Absatz 3 nichts anderes bestimmt, die bis zum 31. Mai 2013 geltenden Vorschriften über die Sicherungsverwahrung nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzuwenden. Die Anordnung oder Fortdauer der Sicherungsverwahrung auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, oder eine nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung, die nicht die Erledigung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus voraussetzt, oder die Fortdauer einer solchen nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung ist nur zulässig, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und aus konkreten Umständen in seiner Person oder seinem Verhalten eine hochgradige Gefahr abzuleiten ist, dass er infolge dieser Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen wird. Auf Grund einer gesetzlichen Regelung, die zur Zeit der letzten Anlasstat noch nicht in Kraft getreten war, kann die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur vorbehalten werden, wenn beim Betroffenen eine psychische Störung vorliegt und die in Satz 2 genannte Gefahr wahrscheinlich ist oder, wenn es sich bei dem Betroffenen um einen Heranwachsenden handelt, feststeht. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortdauer der Sicherungsverwahrung in den in Satz 2 genannten Fällen nicht mehr vor, erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt; mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein.

(3) Die durch die Artikel 1, 2 Nummer 1 Buchstabe c Doppelbuchstabe cc und Nummer 4 sowie die Artikel 3 bis 6 des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2425) geänderten Vorschriften sind auch auf die in Absatz 2 Satz 1 genannten Fälle anzuwenden, § 67c Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Strafgesetzbuches jedoch nur dann, wenn nach dem 31. Mai 2013 keine ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c des Strafgesetzbuches angeboten worden ist. Die Frist des § 119a Absatz 3 des Strafvollzugsgesetzes für die erste Entscheidung von Amts wegen beginnt am 1. Juni 2013 zu laufen, wenn die Freiheitsstrafe zu diesem Zeitpunkt bereits vollzogen wird.

 

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Thematik:

- 23. August 2006           2 BvR 226/06    (hier insbes. Rn. 16, 27)

- 4. Mai 2011                   2 BvR 233/08

- 7. Mai 2013                   2 BvR 1238/12   (hier Rn. 16, 23)

- 11. Juli 2013                 2 BvR 23012/11(hier Rn. 69, 119, 120, 137)

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