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6. Strafsenat: Zwei nach islamischem Ritus verheiratete Angeklagte u.a. wegen Mit-gliedschaft im Islamischen Staat (IS) bzw. wegen Unterstützung des IS zu Freiheits-strafen verurteilt

Datum: 08.02.2023

Kurzbeschreibung: 

6. Strafsenat: Zwei nach islamischem Ritus verheiratete Angeklagte u.a. wegen Mitgliedschaft im Islamischen Staat (IS) bzw. wegen Unterstützung des IS zu Freiheitsstrafen verurteilt

 

Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verkündete heute am 57. Verhandlungstag nach einjähriger Verhandlungsdauer unter dem Vorsitz von Dr. Claus Belling in einem Staatsschutzverfahren gegen zwei Angeklagte wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beziehungsweise Unterstützung dieser Vereinigung sein Urteil.

 

Der 31-jährige Angeklagte, ein irakischer Staatsangehöriger, wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in neun Fällen, davon in sieben Fällen tateinheitlich mit jeweils einem Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und in einem Fall tateinheitlich mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und Urkundenfälschung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Darüber hinaus wurden unter anderem die zur Kommunikation benutzten beiden Mobiltelefone und bei der Ausreise mitgeführtes Geld eingezogen.

 

Die ebenfalls 31-jährige Angeklagte, eine deutsche Staatsangehörige aus Oberbayern, ist wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen, davon in 2 Fällen in Tateinheit mit jeweils einem Verstoß gegen das AWG sowie wegen Nichtanzeige einer geplanten Straftat zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden.

 

Nach den Feststellungen des Senats haben beide Angeklagte, die seit Mai 2018 nach islamischem Ritus verheiratet und schon einige Zeit zuvor radikalisiert waren, ab Anfang des Jahres 2020 bzw. ab Juli 2020 zur Förderung von Zielen des IS von Deutschland aus Gelder gesammelt und an in Syrien beziehungsweise dem Libanon befindliche Mitglieder der Vereinigung transferiert.

 

Hinsichtlich des im Februar 2016 erstmals nach Deutschland eingereisten und zuletzt in Sasbach am Kaiserstuhl wohnhaften irakischen Angeklagten A.-J. ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, dass dieser sich bereits Anfang des Jahres 2020 einvernehmlich dem IS angeschlossen hatte. In sieben Transaktionen, die die Befreiung oder finanzielle Unterstützung in nordsyrischen Flüchtlingslagern inhaftierter IS-Frauen und in einem Fall eines IS-Mitglieds im Gefängnis im Libanon bezweckten, führte er dem IS insgesamt etwa 13.000 US-Dollar zu. In einem weiteren Fall hat er über Monate hinweg mit Unterstützung der Angeklagten vergeblich versucht, eine IS-Frau deutscher Herkunft mit Hilfe von Spendengeldern aus dem bewachten Flüchtlingslager Al-Hol herauszuschleusen, um sie in Freiheit wieder der terroristischen Vereinigung zuzuführen.

 

Nachdem er im Dezember 2020 die Genehmigung des IS für eine Ausreise zur Organisation erhalten hatte, versuchte A.-J. zu Beginn des Jahres 2021 in den Sudan auszureisen. Dort wollte er sich einem IS-Verband anschließen und militärisch unterweisen lassen, um sodann in Afrika oder Syrien für den IS als Kämpfer tätig zu werden. Jedoch wurde er bereits bei dem Versuch der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland von Beamten der Bundespolizei kontrolliert und festgenommen.

 

Die heute ebenfalls 31 Jahre alte Angeklagte S. hat ihren Lebensgefährten bei einem Teil von dessen Taten unterstützt, in dem sie ab Juli 2020 an der Beschaffung der zu transferierenden Gelder mitwirkte und den Kontakt zu den Transaktionsempfängern und zu den weiteren, in die Organisation der Transfers eingebundenen weiblichen IS-Mitgliedern hielt. In Umsetzung des Vorhabens richtete die Angeklagte zudem ein Spendenkonto ein und verfasste einen Spendenaufruf. Im September 2020 veranlasste die Angeklagte ihren mitangeklagten Lebensgefährten A.-J., einen Betrag von 320 US-Dollar an zwei weibliche IS-Mitglieder nach Syrien zu transferieren, wobei ein Teil des Geldes dem in Al-Hol aufhältlichen weiblichen IS-Mitglied (s.o.) und der andere Teil einer weiteren in Idlib befindlichen IS-Frau zugutekamen. Letzterer Person ließ die Angeklagte im Februar 2021 weitere 100 Euro zukommen. Spätestens seit Mitte Dezember 2020 wusste die Angeklagte, dass ihr Lebensgefährte in den Sudan reisen wollte, um sich dort einem IS-Verband anzuschließen und sodann in Afrika oder Syrien für den IS als Kämpfer tätig zu werden. Dennoch teilte die Angeklagte diesen Sachverhalt bis zum Aufbruch ihres Lebensgefährten keiner Behörde mit. Sie wurde Ende August 2021 in Untersuchungshaft genommen.

 

Bei der Strafzumessung hat der Senat zu Gunsten der beiden Angeklagten die Dauer des Verfahrens und den Umstand gewertet, dass beide bislang nicht vorbestraft sind. Außerdem wurde berücksichtigt, dass ihre von Deutschland aus entfalteten Aktivitäten zeitweise auch dazu dienen sollten, die Lebensqualität der unter schlechten Verhältnissen in den syrischen Flüchtlingslagern lebenden weiblichen IS-Mitglieder und ihrer Kinder zu verbessern. Zu ihren Lasten wurde berücksichtigt, dass die Geldzuwendungen und die sonstigen Aktivitäten zugunsten einer Organisation erfolgt sind, deren Gefährlichkeit, deren Brutalität und deren tiefste Unmenschlichkeit auch gegenüber vollkommen wehrlosen Menschen kaum hoch genug angesetzt werden kann.

 

Im Rahmen der Bemessung der tat- und schuldangemessenen Strafe bei dem Angeklagten A.- J. hat der Senat überdies noch erschwerend berücksichtigt, dass sich dieser über einen Zeitraum von nahezu einem Jahr intensiv mitgliedschaftlich betätigt sowie einen Geldbetrag in fünfstelliger Höhe nach Syrien transferiert hat.

 

Bei der Angeklagten S. hat der Senat strafmildernd den Umstand gewertet, dass diese die ihr zu Last gelegten Taten im Laufe der Hauptverhandlung weitestgehend eingestanden hat und durch die lange Dauer der Untersuchungshaft von ihren drei Kindern getrennt war. Straferschwerend wurde gewertet, dass sie ihre mehreren Unterstützungshandlungen über einen Zeitraum von etwa 8 Monaten erbracht hat.

 

Der Senat ordnete bei beiden Angeklagten die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

 

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Den Angeklagten und der Bundesanwaltschaft steht gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.

 

 

Weiterer Informationen zu dem Verfahren:

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19.01.2022 (hier).

Pressemitteilungen des Generalbundesanwalts vom 29. Oktober 2021 (hier) und 16. November 2021 (hier).

 

Aktenzeichen

6-2 StE 12/21 – Oberlandesgericht Stuttgart

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