Navigation überspringen

3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilt ein Mitglied und vier Unterstützer der PKK zu Freiheitsstrafen, u. a. wegen Freiheitsberaubung und versuchter räuberischer Erpressung

Datum: 30.04.2021

Kurzbeschreibung: 

3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilt ein Mitglied und vier  Unterstützer der PKK zu  Freiheitsstrafen, u. a.  wegen Freiheitsberaubung und versuchter räuberischer Erpressung

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verkündete heute unter dem Vorsitz von Dr. Hartmut Schnelle das Urteil in einem Staatsschutzverfahren gegen fünf Angeklagte, ein Mitglied und vier Unterstützer der sog. „Kurdischen Arbeiterpartei“ (PKK).

Der 39-jährige türkische Staatsangehörige Veysel S. wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung und versuchter räuberischer Erpressung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt.

Der 28-jährige türkische und niederländische Staatsangehörige Agit K. und der 32-jährige türkische Staatsangehörige Özkan T. wurden wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, versuchter Nötigung und versuchter räuberischer Erpressung schuldig gesprochen. Gegen Özkan T. wurde eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, gegen Agit K. unter Einbeziehung einer früheren Strafe eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verhängt.

Gegen die 36-jährige türkische Staatsangehörige Evrim A. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und versuchter Nötigung eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Auch der 39-jährige türkische Staatsangehörige Cihan A. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Dem Urteil waren 91 Verhandlungstage seit dem 16. April 2019 vorausgegangen. Im Rahmen der Beweisaufnahme hat der Senat insgesamt 36 Zeugen – zum Teil über viele Tage hinweg – und sechs Sachverständige vernommen sowie zahlreiche Dokumente und abgehörte Telefongespräche eingeführt. Das Verfahren war auch von Corona bedingten Erschwernissen geprägt: So musste u. a. von Mitte März 2020 bis Ende Mai 2020 die Hauptverhandlung mehr als zwei Monate nach einer vom Bundesgesetzgeber neu geschaffenen Regelung unterbrochen werden, bis entsprechende Infektionsschutzmaßnahmen greifen konnten.

Nach den Feststellungen des Senats strebt die PKK einen staatsähnlichen „konföderalen“ Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, Iran und Irak mit eigener Armee und Staatsbürgerschaft an. Neben einem politischen Arm verfügt sie zur Durchsetzung ihrer Ziele auch über militärisch strukturierte Guerillaeinheiten, die vor allem im Südosten der Türkei Anschläge vorwiegend auf türkische Polizisten und Soldaten verüben, bei denen immer wieder auch Zivilisten zu Schaden kommen. Zweck und Tätigkeit der PKK sind daher u.a. darauf gerichtet, durch Anschläge Mord und Totschlag in der Türkei zu begehen. Die PKK besitzt auch in Deutschland und anderen Ländern Westeuropas feste Organisationsstrukturen. Dort haben ihre Mitglieder bzw. hauptamtlichen Parteikader vor allem die Aufgabe, Finanzmittel für die Organisation zu beschaffen, PKK-Anhänger für den Guerillakampf und den Kaderapparat zu rekrutieren und öffentlichkeitswirksame Aktionen zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung im Sinne der PKK zu planen und durchzuführen. Die PKK ist seit 1993 in Deutschland verboten und wird von der Europäischen Union als terroristische Vereinigung eingestuft.

Veysel S. war für die PKK von August 2014 bis Juni 2015 als Gebietsleiter in Hamburg, danach bis November 2015 als Gebietsleiter in Berlin tätig. Ab Juli 2017 bis zu seiner Festnahme im Juni 2018 leitete er die Region Baden-Württemberg und das Gebiet Stuttgart und übte dabei kadertypische Tätigkeiten aus. In seine Zuständigkeit fiel z. B. die Durchführung von Spendensammlungen. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der sogenannten Jahreskampagne 2017 im Spendenraum Bruchsal und dem Fehlen eines Betrags von mindestens 14.700 € am Kampagnenende organisierte er im April 2018 die Entführung und Bedrohung des Ridvan Ö., mit der dieser zur Beibringung des Fehlbetrags und Ablieferung der Abrechnungsunterlagen gezwungen werden sollte. Er führte dabei dann am 13. April 2018 selbst eine „Befragung“ von Ridvan Ö. durch.  

Evrim A. lockte Ridvan Ö., ihren Ex-Freund, für den geplanten Zugriff in eine Falle, so dass ihn Özkan T. und Agit K., deren Mitgliedschaft in der PKK der Senat nicht sicher feststellen konnte, die ihr aber zumindest ideologisch verbunden waren, gegen seinen Willen in eine im Landkreis Göppingen gelegene Gaststätte verbringen konnten. Cihan A. unterstützte sie dabei, indem er zur Bedrohung und Überwindung von Widerstand mitging und später dann auch seine Gaststätte für die „Befragung“ zur Verfügung stellte. Ridvan Ö. wurde nach der „Befragung“ „entlassen“, um das Geld und die Unterlagen beizubringen. Er wandte sich allerdings sofort an die Polizei.

Die Beweiswürdigung erachtete der Senat als besonders schwierig durch das „manipulative Aussageverhalten“ des Ridvan Ö. Der Senat konnte seinen Angaben nur folgen, soweit sie durch andere hinreichende Indizien, z.B. aus der Telekommunikationsüberwachung, belegt waren. Cihan A. hatte im Ermittlungsverfahren weitgehend geständige Angaben gemacht, die wegen der problematischen Glaubwürdigkeit des Zeugen Ö. die Sachaufklärung erheblich erleichterten.

Der Senat hat bei der Strafzumessung zu Gunsten der Angeklagten u. a. die Dauer des Verfahrens samt den Corona bedingten Belastungen und die Tatsache, dass die körperliche Gewalt gegen Ridvan Ö. gering war und die Freiheitsberaubung nur mehrere Stunden dauerte, berücksichtigt. Auch hat der Senat strafmildernd gewürdigt, dass alle Angeklagte als Kurden in ihrem Leben durch die türkische Kurdenpolitik teils massiv beeinträchtigt waren. Die Haftbefehle gegen Veysel S. und Agit K. blieben aufrechterhalten und in Vollzug; die Haftbefehle gegen Evrim A., Özkan T. und Cihan A. wurden aufgehoben.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Den Angeklagten und dem Generalbundesanwalt steht gegen das Urteil das Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof offen.

Aktenzeichen

 

3 - 2 StE 12/18 – Oberlandesgericht Stuttgart

2 StE 12/18 – Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof

 

 

Relevante Normen (Auszug):

 

Strafgesetzbuch (StGB)


§ 129a Bildung terroristischer Vereinigungen:

 

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder

zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

 

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

 

§ 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung

 

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

 

§ 239 Freiheitsberaubung

 

(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

 

§ 255 Räuberische Erpressung

 

Wird die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen.

 

§ 224 Gefährliche Körperverletzung

 

(1) Wer die Körperverletzung

1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,

2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,

3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,

4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder

5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung

 

begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

 

 

 

§ 240 Nötigung

 

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

Diese Website verwendet Cookies. Weitere Informationen erhalten Sie unter Datenschutz.